Der Stern des Untergangs
und stieg dankbar ins warme Quellwasser. Sie rieb sich am ganzen Körper mit Sand ein, dann tauchte sie unter. Eine der Frauen bot ihr Öl an, mit dem sie sich gründlich wusch. Es roch zwar sauer, löste jedoch auch den letzten Schmutz. Offenbar war das das einzige Reinigungsmittel, das die Dorfbewohner kannten. Schließlich sprang sie noch einmal in das Becken, dann trocknete sie sich ab und zog sich wieder an. Als sie das Badehaus verließ, war die Sonne aufgegangen, und der Lärm vom Hauptplatz verriet, dass das Dorf aufgewacht war.
In der Unterkunft streifte sie das Kettenhemd über und kämmte sich das Haar. Daron schlief noch. Sonja wollte ihn nicht wecken. Auch die meisten anderen schliefen noch. Nur ein Söldner saß am Tisch und löffelte seinen Frühstücksbrei.
»Wie lange ist er denn fortgewesen?« fragte Sonja den Veteran.
»Daron? Er ist erst sehr spät zurückgekommen. Wir schliefen schon alle. Ich hörte den Gong dreimal schlagen, kurz danach hat Daron sich niedergelegt.«
Sonja nickte. Das war wahrhaftig spät. Er war nicht weniger erschöpft gewesen als sie; was hatte ihn so lange aufgehalten?
»Ich kenne seinesgleichen«, brummte der Veteran.
Diese Bemerkung gefiel Sonja nicht. Sie empfand sie als Vorurteil oder Anschuldigung. »Wie bitte?«
Der Mann löffelte weiter seinen Brei. »Junge Burschen. Grübeln zu viel. Versuchen die Probleme der Welt zu lösen.«
»Das ist sein Problem?«
Der Mann lächelte. »Das – oder er ist hinter Weibern her.«
Das ärgerte Sonja noch mehr, doch bemühte sie sich, es nicht zu zeigen. Sie trat näher an den Mann heran, beugte sich über seine Schüssel und roch an dem Brei. »Was ist denn da drin?« fragte sie.
»In dem Brei? Das weiß allein Mitra. Besonders gut schmeckt er jedenfalls nicht.«
Sie schürzte die Lippen. »Ist wohl doch nicht im Brei.«
»Wovon redest du eigentlich?« Er hörte zu essen auf und blickte zu ihr hoch.
»Oh, ich kenne deinesgleichen«, sagte Sonja. »Aber ich glaubte immer, es sei was im Essen, das dran schuld sei.«
Verblüfft starrte er sie an. Sie grinste und verließ die Unterkunft.
Ein riesiger Frühstückstisch war auf dem Platz aufgestellt. Sonja schloss sich der bereits bestehenden Schlange an und griff nach Schüssel und Löffel. Ein älterer Krieger mit graumeliertem Bart war vor ihr. Als er sah, dass Sonja hinter ihm war, wünschte er ihr einen guten Morgen und erkundigte sich, was sie in der Zikkurat erlebt hatte.
»Ein paar töteten wir«, sagte sie, »ansonsten ist dort alles wie immer.«
»Weiter kommt man dort auch nicht, oder?«
»Sieht nicht so aus. Wie geht es dir, Iatos?« Sonja hatte den Mann von Anfang an gemocht, gleich als sie ins Dorf gekommen war, und ihre Sympathie war seither noch stärker geworden. Iatos war in seinem Leben schon so manches gewesen, und jetzt war er wie Sonja und viele andere ein Söldner und Außenstehender. Ihre Lebensanschauung war die gleiche. Iatos hatte an Dutzenden von Feldzügen teilgenommen. Des Nachts am Lagerfeuer hatte er Sonja davon erzählt – von Schlachten, von ehemaligen Kameraden, und so hatte Sonja erfahren, dass Iatos einmal auch an der Seite ihres Vaters gekämpft hatte, in einem Feldzug, den er einmal erwähnte. Aber Iatos war mehr als ein Krieger. Der Zufall musste ihn in diese Rolle gezwungen haben. Er war von edlem Wesen und auf gewisse Weise ein Poet und Philosoph. Obgleich er sich mit den besten Schwertkämpfern messen konnte, schien er lieber Geschichten zu erzählen oder über die Rätsel des Lebens und Todes nachzugrübeln. Aber Sonja war eine der wenigen, die offen zeigte, dass sie ihn mochte, denn man wusste, dass er in der Liebe andersherum war, und deshalb trauten ihm viele nicht. Obwohl seine Geschicklichkeit mit dem Schwert durchaus willkommen war, hatte man ihm schon des Öfteren bedeutet, Abstand zu wahren. Gerade diese Ausschließung durch seine Kameraden hatte ihn Sonja näher gebracht.
Der alte Krieger füllte seine Schüssel mit Brei, nahm sich einen Becher mit Kräutertee und setzte sich damit auf eine Bank am Rand des Platzes. Sonja holte sich ihr eigenes Frühstück und folgte ihm.
»Du bist heute so still, Iatos«, bemerkte sie.
Er blickte sie nicht an, sondern starrte auf das Gewühl vor ihnen. »Ich bin traurig.«
»Wieso das?« Doch noch während sie fragte, hatte sie eine Vorahnung, und sie kannte sein Leid, ehe er darüber sprach.
»Sporos«, sagte er leise. »Er fiel vor zwei Tagen.«
Sporos war Iatos Liebster
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