Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
hatte sie gewiegt und getröstet und war auch später nicht von ihrer Seite gewichen. Es war nicht seine Schuld, dass sie in der Dunkelheit auf das Böse getroffen war. Und dass dieser Verrückte in seinem Wahn über sie hergefallen war. Doch insgeheim, im Labyrinth ihrer nächtlichen Gedanken, hielt sie es ihm vor. Hätte seine Liebe sie nicht vor dem Ungeheuer retten müssen?
Sophie konnte Farid nicht verzeihen, dass ihre Welt zerbrochen war. Und so hatte sie sich den schwellenden Bauch mit einem Tuch abgebunden und die Schwangerschaft verdrängt. Über den Herbst und bis in den Winter hinein hatte sie noch schwerer gearbeitet als sonst, denn sie hoffte, das Kind durch die Anstrengungen zu verlieren. Meister Friedrichs hatte sie für ihren Einsatz gelobt, doch die Arbeit in den Terrassen war nicht mehr als ein rastloses Anrennen gegen die Erinnerung und die Frage nach dem Warum gewesen. Die Gärten jedenfalls hatten jeden Zauber verloren. Und der Herkules war nur noch das Abbild sinnloser Gewalt.
Das neue Jahr hatte mit Eiseskälte und gefrorenen Nebeln über der glattgrauen Schlei begonnen. Für Farid brachen die letzten Monate seiner Lehrzeit in den Gottorfer Gärten an. Im April sollte er seine Gesellenzeit am Husumer Hof antreten. Die Anlagen der Residenz, so hatte Meister Friedrichs ihm mitgeteilt, verfügten über einen Lustgarten samt Orangerie sowie über einen Nutzgarten zum Anbau von Obst und Gemüse. Herzogin Maria Elisabeth plante, die Gärten nach dem Gottorfer Vorbild umzugestalten. Zudem wollte sie Wein und edles Obst kultivieren.
Farid blickte seinen neuen Aufgaben mit zwiespältigen Gefühlen entgegen. Er freute sich auf die Herausforderung und den Gesellenstand. Doch er konnte sich nicht vorstellen, Sophie in Schleswig zurückzulassen. Auch wenn sie sich seit dem Sommer weiter und weiter von ihm entfernt hatte, hoffte er doch darauf, ihr Herz für sich zu gewinnen. Sah sie denn nicht, dass er sie liebte – innig und beständig?
In seinen Gebeten und Gesprächen mit Gott hatte er nach den Gründen für ihr Schweigen und ihre Abkehr gesucht. Immer wieder war er an dem Punkt gestrandet, an dem die Steckbriefe mit dem Konterfei des Vollmondmörders an den Hof gekommen waren. Das Rätsel um das Schicksal ihres Bruders hatte sie zunächst in seine Arme getrieben. In jener Nacht hatte sie sich ihm geschenkt, so wie er es sich in seinen Träumen ausgemalt hatte. Ihr Körper, schmal und biegsam wie eine Weidenrute, hatte ihm höchste Wonnen beschert. Für einen winzigen Augenblick hatte er die Pforte ins Paradies durchschritten. Noch in der Nacht hatte er gedacht, dass sie nichts mehr trennen könnte.
Doch schon am nächsten Morgen waren sie sich fremd gewesen. Sophie hatte ihm nicht in die Augen blicken können und er hatte gespürt, dass sie zweifelte.
Er hatte ihr Zeit gelassen, sie nicht bedrängt. Er war ihr Freund geblieben – und Allah allein wusste, wie sehr er in den Nächten mit sich gerungen hatte. Und er hatte ihr versprochen, sie bei ihrer Suche nach dem Bruder zu unterstützen. Sie hatten begonnen, Pläne zu schmieden.
Doch dann war etwas geschehen. Ein Fremder, so hatte Sophie ihn glauben machen wollen, hatte sie nachts in den Gärten überfallen. Und als er sie – von plötzlicher Sorge und Unruhe getrieben – gesucht und am Herkulesbrunnen gefunden hatte, lag sie bewusstlos im Sand, den Körper von Schlägen und Tritten zerschunden.
Erst später hatte sie sich vage an einige Einzelheiten erinnern können – an einen hellen Schopf, an Lederstiefel und an feste Kleidung. Sie hatte von einem Herrn gesprochen. Und von einer Waffe. Doch warum fiel ein edler Herr, ein Ritter vielleicht, über einen Gartenjungen her?
Farid hatte keine Erklärung finden können – und an die schrecklichste Möglichkeit hatte er nicht denken wollen. Und so waren die Geschehnisse jener Nacht unter ihrer Scham und in seinem Schweigen versandet.
Selbst Christian, Sophies Bruder, war plötzlich tabu, Sophie hatte ihn nie mehr erwähnt. Es schien, als hätte es den Steckbrief und sein Rätsel nicht gegeben. Nur in den Nächten, wenn sie träumte und dabei um sich schlug, fuhr ihr manchmal ein fremder Name über die Lippen. »Oss«, stöhnte sie dann und das Wort klang wie ein Fluch. »Oss, Oss, Oss …«
Auch in der vergangenen Nacht, die sie wegen der Kälte in einer der Unterkünfte für die Gartenjungen verbracht hatten, hatte sie gestöhnt und jenen Namen zwischen den Zähnen hervorgepresst. Als
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