Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
dass er den Sporn damals einfach durch die Öffnung geschoben und dann fallen gelassen hatte.
Plötzlich stießen seine Fingerspitzen gegen etwas Kaltes, Hartes. Der Sporn. Er hatte es geschafft. Wie schäumende Gischt stieg das Glücksgefühl des Triumphes in ihm auf.
Dann lag der goldene Schmuck in seiner Hand. Das Zeichen, sein Beweis, sein kostbares Pfand auf eine Zukunft. Fast ungläubig drehte Oss den Sporn hin und her, Ritter Rantzaus Wappen leuchtete in der Abendsonne auf.
Schwindelig lehnte er sich gegen den Baumstamm, er brauchte einen Moment, um wieder zu sich zu kommen.
»Komm nach Hause«, hörte er Sophies Stimme flüstern. Und er nickte. Vorsichtig bettete er den Sporn in das Vogelnest, dann trug er seinen Fund wie ein Tabernakel den Hügel hinauf.
Es war wie damals. Während sie über die Heide ritten, war ihm der Geruch von Feuer in die Nase gezogen. Christian Rantzau hatte keinen Zweifel, wer sich da, abseits des Handelsweges, vor der Welt verbarg.
»Pack«, knurrte er und zügelte sein Pferd in den Stand. Er wartete, bis seine Leute ihn erreicht hatten, dann erläuterte er ihnen seinen Plan.
Es war nicht das erste Mal, dass sie auf der Heide nach der Bande suchten. Nach dem Winter war er wohl drei- oder viermal an den Ort zurückgekehrt, der ihn mit Stolz und Abscheu zugleich erfüllte. Ja, er verspürte ein Hochgefühl, wenn er sich an die Ereignisse erinnerte, die den Hügel zu diesem besonderen Ort für ihn hatten werden lassen. Hatte er die Herzogtümer damals nicht von einem Haufen elender Schmuggler befreit? Und war ihm in der Folge nicht der mächtige Gedanke gekommen, wie er den Ritterstand wieder mit Bedeutung und Zuversicht beladen könnte?
Die Überfälle am Ochsenweg und das köstliche Töten in den Vollmondnächten hatten hier ihren Ausgang genommen. Sein Pakt mit Gott, sein Auserwähltsein.
Dennoch war der Hügel auch ein Ort der Niederlage und der Schmach. Warum nur hatte er damals den Sporn auf der Heide verloren? Und warum hatte er den Jungen nicht getötet, der doch offensichtlich zu der Bande von Schmugglern gehört hatte? Er hatte einen Judas auf der Breitenburg heranwachsen lassen. All die Jahre war ihm der Verräter so nah gewesen und hatte auf seine Stunde gewartet.
War er Oss tatsächlich ausgeliefert? Rantzau spürte, wie ihm der Geruch nach verbranntem Heidekraut in die Nase stieg. Der herbe Duft spornte ihn an.
»Wir stürmen den Hügel und töten die Ratten«, befahl er seinen Männern, die seinen Worten unbewegt lauschten. Wenn er in ihre Gesichter blickte, sah er darin ergebenen Gehorsam. Niemals hatten sie gegen ihn aufbegehrt und niemals hatten sie seine Macht infrage gestellt. Das satte Leben und die reich gefüllten Börsen, die er ihnen und ihren Familien zukommen ließ, bestätigte sie in ihrem Tun. Sie waren willig und sie liebten den Kampf. »Und ihr Anführer gehört mir. Ich will ihm selbst die Klinge an die Kehle setzen. Treibt ihn in meine Richtung.«
Ja, dachte Rantzau, während sie die Pferde im Schritttempo auf das Schlachtfeld führten, ein stolzes, stimmgewaltiges Ja : Er wollte Oss. Er wollte diesen Judas und Aufrührer vernichten. Diesen Halunken, der den Stolz der Ritterschaft verraten wollte. Und er wollte sich endlich zurückholen, was ihm gehörte.
SECHS
Als er die Schreie hörte, war die Angst des Jungen wieder da. Er wollte sich in die Büsche schlagen, sich auf den Boden drücken, sich kleinmachen, verschwinden. Er wollte nichts von dem sehen, was hinter dem Hügel passierte. Und er wollte die Schreie der Sterbenden nicht hören.
Für einen Moment setzte sein Denken aus, die Beine versagten ihm ihren Dienst. Dann sah er das Vogelnest in seinen Händen, den Sporn. Wie in einem Buch blätterten sich die Bilder seines zukünftig gedachten Lebens vor ihm auf. Er sah den Herzog, Sophie, dann Lisbeth. Und er sah sich selbst – im Kampf gegen Christian Rantzau. Oss schob das Vogelnest mit dem Schatz darin unter die Jacke, zog sein Messer und rannte den Hügel hinauf.
Warum, dachte er, während er lief. Warum hatte er nicht damit gerechnet, dass Ritter Rantzau ihn heute überraschen könnte? In seinen Plänen und Träumen war es stets so gewesen, dass er den Ritter auf der Heide gestellt hatte. Er hatte Rantzau und seine Häscher wittern können wie ein Raubtier. Er war vorbereitet gewesen, sicher, unerschrocken. Nun regierte ihn die Panik.
Auf der nach Norden abfallenden Seite des Hügels sah er die Kämpfenden. Seine Männer
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