Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
gewesen, wieder nach Gottorf zurückzukehren. Die Gesellenzeit am Husumer Schloss war lang gewesen – lang genug, um das gewaltige Sehnsuchtsbild von Sophie auf die Größe eines Apfelkerns schrumpfen zu lassen. Dieser Kern jedoch, bitter und süß zugleich, saß fest im Fruchtfleisch seiner Erinnerung.
Die ersten Tage am Hof hatte man Farid mit den Proben für die bevorstehende Zeremonie beschäftigt. Schon in Husum hatte er sich die Grundzüge des lutherischen Glaubens einverleiben müssen. Nun hatte der Hofprediger ihn in stundenlangen Sitzungen ins Gebet genommen und ihn auf die Segnungen des neuen Glaubens vorbereitet. Er hatte ihm die wichtigsten Bibelstellen erklärt, ihn mit dem Leben Jesu Christi vertraut gemacht und ihm die zehn Gebote und das Glaubensbekenntnis eingepflanzt. Zuletzt hatte er ihm das heilige Sakrament der Taufe erklärt.
»In der Taufe erhältst du Anteil an Christi Auferstehung«, erklärte ihm der Alte und sein saurer Atem stieg Farid in die Nase. »Der Vollzug der Taufe entspricht der Schwelle zwischen deinem alten Sein als Mensch in Sünde und dem neuen Sein deines Lebens in Christus. Das Taufwasser tötet und schenkt Leben zugleich. Martin Luther sagt, dass die Taufe das Versprechen Gottes ist, den Menschen um Christi willen die Sünde zu vergeben.«
Farid hatte genickt und seinen Blick durch die prächtige Hofkapelle und über den herzoglichen Betstuhl schweifen lassen. Er erwartete die ihm so plötzlich zuteil gewordene Ehre mit Gleichmut und Gelassenheit. Auch in Husum hatte er seine Gebete zu Allah täglich verrichtet, doch das Gespräch mit Gott hatte ihm kaum Antworten auf die Fragen geben können, die ihn nach dem Bruch mit Sophie beschäftigt hatten. Was war sein Ziel und wo war sein Platz in diesem Leben? Der Gedanke an Allah, so meinte Farid, führte ihn nicht voran, sondern zurück. Das Zurück jedoch bedeutete für ihn mehr Schmerz, Trauer und Verlust als Aufbruch und Verheißung. Vielleicht war es deshalb also nur folgerichtig, dem Leben in der Fremde auch den fremden Glauben hinzuzufügen.
Trotzdem hatte Farid das Gefühl, Abschied nehmen zu müssen von seinem alten Leben. Und am Abend vor der Hochzeit und Taufe zog er sich in einem unbeobachteten Moment in die Gärten zurück, um an seinen alten Gebetsplatz auf dem Hügel zurückzukehren.
Am Hof war man mit der Ankunft der Hochzeitsgäste beschäftigt. Vor dem Schlossportal rollten ununterbrochen Kutschen vor, um die hohen Damen und Herren in den Reigen bunter Vergnügungen zu entlassen. Ein nervöses Surren, Rauschen, Flattern lag in der Luft, selbst in den mit Blumenbögen geschmückten Gärten schien die Spannung greifbar zu sein. Wie aufgedreht huschten die Vögel durch das Geäst, die Pfauen schlugen nimmermüde ihr Rad.
Erst in den Terrassen wurde es besser und nachdenklich schlenderte Farid durch die Hecken hinauf. Schon in Husum hatte er erfahren, dass man oberhalb des Herkulesbrunnens mit dem Bau eines Lusthauses begonnen hatte. Und seltsam gerührt blickte er, der sich inzwischen an die schrägen und spitzwinkligen Dächer der Deutschen gewöhnt hatte, von oben auf das flache Dach und den Zwiebelhelm des neuen Bauwerks. Der Anklang des würfelförmigen Gebäudes an orientalische Bauten war unverkennbar und plötzlich bedauerte er, dass er dem Hofgelehrten und einstigen Reisegefährten Olearius nicht längst seine Aufwartung gemacht hatte. Doch im Trubel der vergangenen Tage war ein Besuch im Hause des Gelehrten kaum möglich gewesen.
Auch Sophie kam ihm bei seinem Aufstieg in den Sinn. Was war aus ihr geworden? Und aus ihrem Kind? Lebte es noch?
Olearius hätte seine Fragen beantworten können, doch im tiefsten Inneren seines Herzens fürchtete Farid sich davor. Er zog die Unwissenheit vor, die ihn vor neuerlichen Enttäuschungen bewahrte. Und er hatte sich eingerichtet in seinen vagen Vorstellungen von Sophies Leben, hatte sich eine eigene Welt für sie erdacht. War sie nicht aus den Gärten verschwunden, um nach Schleswig in die Hütte auf dem Holm zurückzukehren? Und hatte sie dort nicht als Pflanzenkundige ein Auskommen finden können? In der Gartenwerkstatt von Meister Friedrichs, so viel wusste er jedenfalls, arbeitete sie nicht mehr.
Doch während er höher stieg und so viele vertraute Orte passierte, rissen die Gedanken an Sophie nicht mehr ab. Alles, was er in den zurückliegenden Jahren hatte verdrängen können, sprang ihn in der vertrauten Kulisse der Hecken wieder an. Er erinnerte sich
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