Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
vorgesehen war. Während die östliche und westliche Empore dem Herzog und der Herzogin sowie ihrem engsten Gefolge vorbehalten waren – die Wohnräume der herzoglichen Familie lagen auf gleicher Höhe und waren über eine Tür erreichbar –, drängte sich der niedere Teil der Hofgemeinde in den Bänken im Erdgeschoss.
Sophie mochte den festlichen Saal der Kapelle, der sich über zwei Geschosse im Nordflügel des Schlosses erstreckte. Dank der reichen Schnitzereien, den geheimnisvoll durchlichteten Fenstern, den Bildern zum Leben Jesu Christi und der prächtigen Betstuhl-Fassade bot ihre Ausstattung genug Ablenkung, um selbst stundenlange Gottesdienste zu überstehen. Geschnitzte und farbig bemalte Masken, Engelsköpfe, Doppeladler, Rosetten, Wappen und andere Ornamente schickten das Auge auf wundersame Reisen und wenn sie nach oben blickte, sah sie den Himmel: Die Bodenbretter der Emporen waren in einem leuchtenden Kobaltblau gestrichen und dazu mit weißen sechszackigen, abwechselnd kleineren und größeren Sternen besetzt.
Heute jedoch war ihr der Sternenhimmel kein Trost. Noch immer kreisten Sophies Gedanken um ihre Begegnung mit Farid und so ruhte ihr Blick auf seinem Rücken, als er mit gesenktem Kopf das Sakrament der Taufe vor dem Altar empfing. Dunkel wie Moorwasser floss ihm das heilige Fluidum über das glänzende Haar, während der Hofprediger mit fester Stimme die Taufformel im Namen des dreieinigen Gottes sprach.
Schon während der prunkvollen Hochzeitszeremonie hatte Sophie die Bilder des vergangenen Abends vor Augen gehabt. Auch wenn sie auf eine der geschnitzten Masken blickte, sah sie doch Farid vor sich, die schimmernden Locken, den Glanz seiner Augen, die weich geschwungenen Lippen. Er war älter geworden, sein Profil erschien ihr schärfer. Wie ein Brennglas hatten sich Vollendung und Reife über sein Mienenspiel gelegt. Sie hatte das Verlangen verspürt, ihn zu berühren. Und als sie seine Hand geküsst hatte, schien die Sehnsucht nach ihm wie ein Feuerwerk in ihrem Inneren zu explodieren.
Auch aus seinem Blick hatte sie Verlangen herauslesen können, ein Gefühl, das ihn selbst zu überraschen schien, und für einen Moment hatte sie gedacht, dass es einfach wäre, ihn zurückzugewinnen. Sie hatte gespürt, dass sie sich nun bereit fühlte für seine Liebe. Die Zeit hatte alles verändert.
Doch Farid hatte sich nicht von seinen Gefühlen überwältigen lassen. Er erschien ihr weniger impulsiv, die Trennung schien auch ihn verändert zu haben. Und vielleicht hatte es andere gegeben? War er bereits versprochen und hatte er den Herzog deshalb um die Taufe gebeten? Farid hatte damals doch auch ihr angeboten, sich taufen zu lassen. Sophie hatte begonnen, von ihrem Leben zu sprechen. Sie erzählte ihm von ihren neuen Aufgaben, von ihrer tiefen Freundschaft zu Catharina Olearius, von Melissas Fortschritten – und schließlich von Caspar.
Und als sie Caspars Namen erwähnt hatte, war sein Blick weicher geworden. Plötzlich schien er sich zu ihr hinzuwenden, er fragte nach dem Kind, wollte es sehen.
Die Taufzeremonie neigte sich ihrem Ende entgegen. Orgelmusik ertönte, jubelnd wie ein himmlischer Chor flutete die Musik von der Empore herab. Farid war nun ein neuer Mensch. Sophie schloss die Augen.
»Ich würde ihn gern sehen«, das waren seine Worte gewesen. Trotz des anschwellenden Orgelchorals, der die Hochzeitsgäste aus der Kapelle spülte, hatte sie den Klang seiner Stimme in ihrem Kopf. So viel Hoffnung hatte darin gelegen. Hoffnung, dass doch alles anders sein könnte. Sie hätte ihm die Hand reichen können.
Doch sie hatte Farid nicht belügen wollen, auch wenn er die Lüge vielleicht sogar eingefordert hatte.
»Er ist nicht dein Sohn«, war ihre Antwort gewesen. Und wieder hatte sie seine Hand geküsst.
Einen Moment lang hatten sie sich schweigend gegenüber gesessen und dem Nachhall ihrer Worte gelauscht. Dann hatten sie den Abendgesang der Vögel wahrgenommen, grell hatte er ihr Schweigen übertönt.
Schließlich hatte Farid seine Hand aus ihrem Griff gelöst und war aufgesprungen. Von oben blickte er auf sie herab.
»Ich werde auf Wanderschaft gehen und in die Niederlande reisen«, hatte er gesagt.
»Olearius erzählte davon.«
Sie hatte abwesend genickt, als erzähle er ihr von einem gemeinsamen Freund.
»Der Herzog hat sein Einverständnis gegeben.«
»Die Tulpenzucht …«
Sie wollte aufstehen, doch dann fehlte ihr die Kraft. Wortlos streckte sie ihm die Hände
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