Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
können, ob sie Enttäuschung in seinen Augen las. Oder ob die Freude überwog, dass Sophie aus dem Dunkel zurückkehrte.
Bösch war es gewesen, der bemerkt hatte, dass sich etwas an ihrem Zustand veränderte. Nachdem Olearius und Caspar das Zimmer verlassen hatten, setzten sie sich noch einmal an das Bett der Sterbenden. Sie dachten, dass Sophie nun gehen würde. Beide sprachen sie ein Gebet, Bösch hielt Sophies Hand. Wie eine Feder lag sie in seiner Pranke.
Doch dann meinte der Globusmeister, etwas zu spüren. Fast erschrocken zuckte er zusammen.
»Da war etwas.« Er drehte sich zu Catharina. »Sie bewegt ihren kleinen Finger.«
Ungläubig hatte sie den Kopf geschüttelt und sich über die Freundin gebeugt. War da ein Hauch von Farbe in Sophies Wangen zurückgekehrt? Catharina strich Sophie prüfend über die Stirn und nickte. Das war Wangenrot und kein fiebriges Aufflammen.
»Wein!« Sie zeigte auf die Karaffe in Böschs Rücken und er reichte ihr ein Glas. Vorsichtig tunkte sie ihren Finger in die dunkle Flüssigkeit und strich etwas davon auf Sophies Lippen.
Wie eine Blume, die auf einen Sonnenstrahl reagierte, öffnete Sophie den Mund.
»Großer Gott …« Während Bösch sich beherrschen musste, um nicht aufzuspringen, sprach sie noch ein Gebet. Sie sah, wie seine Finger unaufhörlich über Sophies Hand strichen, er flüsterte ihren Namen.
»Da, schau nur!«
Sie bemerkte nun auch, dass Sophies Finger sich bewegten, als wollte sie ihnen etwas mitteilen. Wieder und wieder ließ sie den Wein auf ihre Lippen tropfen. Und tatsächlich verschwand etwas davon in Sophies Mund.
»Was können wir noch tun?«
»Weitermachen, bei ihr bleiben …« Catharina wagte es nicht, den Blick von Sophie zu lösen. Sie dachte, dass sie etwas Wichtiges verpassen könnte. Den ersten Blick nach so langer Zeit, das Wunder, auf das sie alle gehofft hatten.
Doch es vergingen Stunden, bis Sophies Augenlider zum ersten Mal flackerten. Inzwischen war es Abend geworden. Sie hatten Kerzen entzündet, die den Raum in ein Wechselspiel von Licht und Schatten tauchten.
Sophie schien etwas zu murmeln, ein heiterer Ausdruck lag nun auf ihrem Gesicht.
»Was sagt sie?« Bösch beugte sich über ihr Gesicht, seine Wange schien ihre Lippen zu berühren.
Auch Catharina benötigte eine Weile, bis sie die Worte verstanden hatte.
»Das ist Latein … Ein alter Spruch.«
»Sator arepo …« Auch Bösch versuchte, die Worte zu verstehen. »Sator arepo … Das habe ich schon einmal gehört, das ist ein heidnischer Bannspruch.«
»Sator arepo tenet opera rotas«, vervollständigte Catharina den Satz. »Das einfache Volk glaubt noch immer an die alten Zauber.« Sie schwieg einen Moment. »Vielleicht eine Erinnerung an ihre Kindheit«, fuhr sie fort, doch sie konnte sich die Worte nicht erklären.
Bösch starrte noch immer auf Sophies Lippen. »Sie sagt noch etwas anderes.« Seine Lippen versuchten das fremde Wort zu entschlüsseln: »F … A … R … I … D …«
Farid. Catharina zuckte zusammen. Der Perser. War er ihr in ihren Fieberträumen begegnet? Doch bevor sie den Namen aussprechen konnte, löste sich das persische Wort noch einmal von Sophies Lippen. Klar und deutlich stand es plötzlich im Raum, so klar, als riefe Sophie nach einem Engel.
»Farid …«
Bösch drehte sich zu ihr und sah sie an.
»Wer ist dieser Farid?«
Sieben Wochen hatte Sophie auf der Schwelle zwischen Leben und Tod verbracht, und genauso lange brauchte sie, um wieder zu Kräften zu kommen.
In den ersten Tagen nach ihrer Rückkehr konnte sie nur winzige Schlückchen verdünnten Weins zu sich nehmen. In der zweiten Woche folgte etwas Suppe, dann dünne Grütze. Catharina musste sie füttern wie ein Kind.
Sie hatte so viel abgenommen, dass die Knochen ihre durchscheinende Haut durchstachen. Die Wangen waren eingefallen, die Augen lagen in tiefen Höhlen. Sie war mehr Geist als Körper, doch ihr Lebenswille war zurück. Der alte Bannspruch hatte sie gerettet – und der Traum von Farid.
»Vielleicht ist er auf dem Weg zurück nach Schleswig?«, fragte Sophie Catharina, als die Frauen allein waren.
Catharina war dabei, Sophie zu waschen. Noch immer war die Freundin zu schwach, um sich selbst zu helfen. Vorsichtig fuhr sie mit einem nassen Tuch über ihren Rücken und die Rippenbögen. Sophie war furchtbar mager, ihr Körper glich dem eines Kindes.
»Wen meinst du?«
»Farid.«
Catharina stockte, sie tunkte das Tuch in eine Schale mit warmem Wasser und
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