Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
Atem. Die Bespannung hatte dem gewaltigen Körper nun sein endgültiges Volumen verliehen, ein mächtiger Planet, der fast frei im Raum zu schweben schien. Sophie dachte, dass sie noch nie etwas so Schönes und Vollkommenes gesehen hatte. Sie spürte, dass sie ein Schluchzen unterdrücken musste.
»Nicht wahr?« Olearius hatte ihre Rührung bemerkt, väterlich drückte er ihre Hand. »Mir liefen die Tränen über die Wangen, als ich mit Bösch das erste Mal vor der vollendeten Globuskugel stand. Er hat mir sein Taschentuch reichen müssen.«
»Der Unterschied zum Kugelgerippe ist gewaltig …« Sophie hatte die Sprache wiedergefunden. Vorsichtig näherte sie sich der Erdkugel. Als sie herankam, sah sie, dass man bereits damit begonnen hatte, die Umrisslinien der Meere, Kontinente und Länder vorzuzeichnen. Auf einem Tisch entdeckte sie einige ihrer Studien und Skizzen dazu. »Was ist noch zu tun?«, fragte sie, denn bislang hatte sie keine Handwerker im Gebäude entdecken können.
»Es geht jetzt vor allem um den inneren Feinausbau.« Olearius lief um die Kugel herum bis zu einer Klappe, die für den Einstieg in das Kugelinnere vorgesehen war. »Wir warten auf drei Räder, die das innere Getriebe komplettieren. Dann folgt die Bemalung des Globushimmels.«
»Dann ist Bösch also bald fertig?« Plötzlich dachte Sophie, dass der Globusmeister nicht für alle Zeiten in Schleswig bliebe. So viele Handwerker waren bereits weitergezogen. Wann würde er aufbrechen – und wohin? Mit gemischten Gefühlen folgte sie dem Hofgelehrten zur Einstiegsluke, ein provisorischer, hölzerner Tritt stand davor. An diesem Ort der Perfektion wirkte er wie ein Relikt aus einer anderen Zeit.
Olearius nickte. »Seine Werkstatt wird sich mehr und mehr auf den Bau der Sphaera Copernicana konzentrieren. Sie liegt dem Herzog ebenso am Herzen. Bevor sie nicht vollendet ist, wird er Gottorf keinesfalls verlassen können.«
»Auch die Weltenmaschine ist auf einem guten Weg …« Trotz seiner Krankenwache an ihrer Seite war Bösch vorangekommen, die zum Teil winzigen Bauteile des Sternenapparates hatte er an ihrem Bett zurechtfeilen können. »Er wird vielleicht noch ein Jahr benötigen.«
Der Gelehrte nickte. »Er sprach davon, an den Dresdner Hof weiterzuziehen. Die kurfürstliche Kunstkammer ist einmalig, dort wird sich Arbeit für ihn finden.« Olearius entzündete eine Kerze. »Wollen wir?« Er wies auf die dunkle Luke.
Dresden. Sophie nickte. Sie hatte sich nie Gedanken darüber gemacht, was mit ihr geschähe, wenn Bösch Gottorf verlassen sollte. Seine verlässlich-vertraute Gegenwart war ihr inzwischen so selbstverständlich wie das tägliche Gebet. Er gehörte zu ihrem Leben, auch wenn sie sich seit ihrer Genesung wieder stark nach Farid sehnte. Dessen Blick, das Kräuseln der Lippen, die Stimme gingen ihr nicht aus dem Sinn. Immer wieder fragte sie sich, wie es ihm gehen mochte. Und nun, in diesem Moment, dachte sie erschrocken, dass er womöglich erst nach Gottorf zurückkehren könnte, wenn sie Bösch in eine andere Stadt gefolgt wäre. Sie würden sich tatsächlich nie mehr wiedersehen.
»Sophie!« Wieder riss Olearius sie aus ihren Gedanken. Er steckte bereits mit dem Kopf im Globus, als wildes Hundegebell aus dem Inneren der Maschine herausschwappte. Erschrocken riss er den Kopf zurück, dann hörten sie die Stimme des Herzogs aus dem Kugelbauch heraustönen: »Kommen Sie nur, kommen Sie nur, Olearius!« Eine mit Ringen geschmückte Hand streckte sich ihnen entgegen. »Ich freue mich über Gesellschaft.«
Und so fand Sophie sich wenige Augenblicke später im Globusinneren zwischen dem Herzog und Olearius sitzend wieder. Zu ihren Füßen hatte sich die Bracke des Herzogs eingerollt. Gelassen klopfte die Rute des Jagdhundes auf den hölzernen Laufboden.
Die Situation war merkwürdig. Sophie war dem Herzog noch nie so nahe gewesen, sie spürte seinen schweren Atem, der über ihr Haar strich. Im flackernden Kerzenlicht schimmerte sein kostbarer, mit goldenen und silbernen Fäden durchsetzter Rock. Der herzogliche Atem roch nach Wein und Bratenfett.
Herzog Friedrich schien die Situation weit weniger ungewöhnlich als seine beiden Gäste zu empfinden. Ja, er wirkte sogar erfreut über die Gesellschaft. Jovial begann er, mit Olearius zu plaudern. »Es ist ein magischer Ort geworden, mein lieber Mathematicus. Ich bin schon heute Morgen in aller Frühe eingestiegen, wahrscheinlich vermisst mich mein Hofstaat schon.« Der Herzog
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