Der Sternengarten: Historischer Roman (German Edition)
kicherte glücklich, als ob ihm ein Streich gelungen wäre. »Dann habe ich begonnen, über mein Leben nachzudenken. Die Dunkelheit und der enge Raum befördern diese Gedanken und die innere Einkehr. Wie wird es erst sein, wenn der Sternenhimmel über uns glänzt?«
Olearius machte eine Bewegung in den Raum hinein, er schien auf den noch dunklen Himmel deuten zu wollen. Inzwischen hatte er die höfischen Rituale verinnerlicht. »Ihr habt einen Ort für die Ewigkeit erschaffen, Durchlaucht«, sagte er und deutete eine Verbeugung an. »Der Riesenglobus war allein Eure Idee.«
»Ja, es war nicht ganz vergeblich …« Die Stimme des Herzogs klang plötzlich dunkel, die eben noch aufblitzende, fast jungenhafte Freude war daraus verschwunden.
Wie von Sinnlosigkeit ermattet, dachte Sophie.
»So gut wie nichts hat Bestand«, fuhr der Herzog fort. »Vielleicht wird dieses Werk …« Er vollendete den Satz nicht. Nach einem Moment des Schweigens, der Sophie unendlich erschien, sprach er leise weiter. Das Kugelgewölbe ließ seine Worte nachhallen. »Bevor ich Euch kommen hörte, habe ich über meine Kindheit nachgedacht. Und die Hoffnungen, die man damals mit meiner Geburt verband.« Für wenige Sekunden stutzte der Herrscher, Sophie hielt den Atem an. Der Augenblick war so intim, so außergewöhnlich. Sie spürte, dass sie nie wieder etwas Derartiges erleben würde. Herzog Friedrich sprach zu Olearius wie von Gleich zu Gleich. Dass sie ebenfalls zugegen war, schien ihn nicht weiter zu stören.
»Ich will Euch von der Nacht meiner Geburt erzählen, Olearius, so wie mein Vater mir davon berichtet hat«, setzte Friedrich III . wieder an. Und ohne Pause tauchte er in die Vergangenheit ein: »Es war eine Winternacht, so kalt und stürmisch, dass über den Wassern der Schlei der Nebel gefror und der Wind wie hungriges Wolfsgeheul um das Schloss hallte. In den fürstlichen Gemächern lag meine Mutter, Herzogin Augusta, in den Wehen. Von Zeit zu Zeit drangen die Schreie der jungen Fürstin durch die Flure und Treppenhäuser sogar bis hinunter in die Schlossküche, wo sich Mägde und Knechte um ein offenes Feuer drängten. Keiner der Anwesenden sprach ein Wort, doch so mancher murmelte wohl ein stilles Gebet und die eine oder andere litt mit ihrer Herrin und erinnerte sich an die eigenen Höllenqualen unter der Geburt.«
Sophie schloss die Augen, sie bemerkte, dass Olearius nach ihrer Hand tastete. Auch er schien sich dem Zauber des Augenblicks nicht entziehen zu können.
»Es war gut, dass meiner siebzehnjährigen Mutter nicht nur der Leibarzt des Herzogs und eine Hebamme, sondern auch deren Mutter, die Königin-Witwe Sophia von Dänemark, beistanden«, fuhr der Herzog fort. »Die Monarchin, selbst Mutter von sieben Kindern, hatte ihre hochschwangere Tochter bereits in den letzten Wochen vor der Geburt betreut, ihre Ängste zerstreut – und die Zofen und Mägde mit ihren resolut vorgetragenen Wünschen wohl zur Verzweiflung getrieben. Zwischen der elften und zwölften Stunde jedenfalls, so erzählte es mein Vater, Herzog Johann Adolf, später, gellte ein Schrei durch das Schloss. Erschrocken fuhr er im Hirschsaal neben der Kapelle auf, das Glas in seinen Händen war zersprungen. Wein, dunkelrot wie frisches Blut, tropfte von seiner Jacke auf den kostbaren Teppich mit Jagdmotiven zu seinen Füßen. Später erinnerten sich die Dienstboten, dass in diesem Moment die Fackeln zu tanzen begonnen hätten und die fürstlichen Ahnen in ihren Gräbern aufseufzten, als diese letzte, gewaltige Wehe mich in die Welt hinausgetragen hatte. Der Schrei – ein Laut, der aus einer fernen Welt zu kommen schien und endlos durch die Zimmerfluchten wehte – hatte sogar die Eiszapfen vom Dach und von den Traufen gefegt. Erschrocken hatten die blitzenden Lanzen sich in den Schnee fallen lassen und die ersten Boten, die am frühen Morgen die Nachricht von meiner Geburt in die Welt hinaustrugen, durchstießen einen Ring aus Eis, der sich wie ein Zauber um das Schloss gelegt hatte.«
Wieder schwieg der Herzog für einen Moment, er holte tief Luft. Sophie bemerkte, dass der Hund sich aufgesetzt hatte und seinem Herrn mit zurückgelegten Ohren lauschte. Dann legte er den Kopf auf die herzoglichen Knie, auch er schien die wehmütige Stimmung des Herzogs zu bemerken.
Friedrich III . räusperte sich und tätschelte ihm den Kopf. »Auch die Astrologen sprachen von einem wundersamen Zeichen, unter dem ich in der Nacht vom 22. auf den 23. Dezember anno 1597
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