Der Sternenkavalier
miteinander in Streit geraten, so gehen sie nicht ohne allen Geschmack aufeinander los, sondern folgen in ihrer Auseinandersetzung einer wohlüberlegten Dramaturgie, was dem Streit die besinnungslose Hitze nimmt und die Kontrahenten in die Distanz versetzt, von der aus sie sich so spielen können, wie sie gern sein möchten. Ein beispielsweise beherrschter Mensch zu sein ist schwieriger, als ihn zu spielen. Ihn zu spielen aber ist die leichteste Art, einer zu werden.“
„Ich kenne von der Geo mehr als einen Schauspieler“, wandte Eto ein, „der auf der Bühne hundertmal einen bestimmten Charakter gespielt hat, ohne dahin zu kommen, dieser Charakter auch in Wirklichkeit zu werden.“
„Ebendeshalb“, erklärte der Rosige, „haben wir die reine Kunst abgeschafft. Da der Schauspieler auf der Bühne nicht seinen eigenen Konflikt gestaltet, kann er sich dort auch nicht in der Gestaltung der eigenen Konflikte üben, und der Zuschauer ebensowenig. Der Schauspieler spielt niemals sich selbst, auch wenn er davon überzeugt ist, daher kann er auch das Spiel auf der Bühne nicht im Leben fortsetzen, jedenfalls nicht als ihm zukommendes. Es bleibt ein Spiel mit fremden Eigenschaften. Wir hingegen spielen uns selbst, unser unmittelbares Leben, wodurch unser Leben unmittelbar die Form der Kunst annimmt.“
„Das Leben als ein einziger Maskenball“, rief As, „das lob’ ich mir!“
„Das Gegenteil ist richtig“, versetzte der Rosige. „Da wir uns dauernd so spielen, wie wir sein möchten, werden wir es auch wirklich und haben es nicht nötig, unter dem Schutz der Maske uns als das auszulassen, was zu sein uns im normalen Leben verwehrt ist.“
„Das alles erscheint geradezu als ideal“, sagte Eto, „und doch habe ich das dumme Gefühl, daß da irgend etwas nicht stimmt.“
„Ein dummes Gefühl habe ich auch“, gestand As, „aber ich weiß genau, was nicht stimmt: Mein Magen spricht eine deutliche Sprache.“
Der Rosige lachte. „Die Sprache der Natur ist in der Tat die deutlichste, und es ist unklug, nicht auf sie zu hören.“
Mit diesen Worten erhob er sich und führte die beiden Geomanen zu einer anderen Gruppe, die sich an einem in der Nähe befindlichen Waldrand niedergelassen hatte und gerade dabei war, ein Stück Wild über dem Feuer zu braten. Diese Gruppe nun bot das malerischste Bild, das Eto und As in ihrem Leben erblickt hatten. Die milde Abendsonne schien auf den von weichem Moos bedeckten Lagerplatz, durch dessen Mitte sich ein aus dem Walde tretendes Bächlein schlängelte. Die Rosigen selbst saßen oder lagen in der anmutigsten Weise zu beiden Seiten des Baches und schienen das Leben paradiesischer Glückseligkeit zu spielen. Männer und Frauen, Kinder und Greise drückten durch Worte, Gesten und gegenseitige zärtliche Berührung ihr Wohlgefallen aneinander und durch gurrendes Lachen, das in seiner Verhaltenheit vom sittlichen Anstand dieser Menschen zeugte, ihr eigenes Wohlbefinden aus. Zugleich war einwundersamer Gesang zu hören, der sich, aus verschiedenen Richtungen des Waldes kommend, dem Lagerplatz näherte. Und bald traten die einzelnen Sänger, junge Burschen und Mädchen, zwischen den Bäumen hervor. Die Mehrzahl von ihnen hatte Früchte unterschiedlicher Art gesammelt, die als Zukost zum Braten gedacht waren, während andere Bündel großer Pflanzenblätter brachten, die, wie Eto und As später feststellten, den Speisen als Unterlage dienten oder als Servietten Verwendung fanden.
Die Geomanen nahmen, da der Braten fertig war, ohne aufgefordert zu sein und, der hiesigen Sitte folgend, ohne um Erlaubnis zu fragen, am Mahle teil. Sie waren inzwischen mit der Wesensart der Rosigen vertraut genug, um zu wissen, daß hier jeder tun und lassen konnte, was ihm beliebte, weshalb es unsinnig war, jemanden zu etwas oder um etwas zu bitten. Die Selbstverständlichkeit, mit der jeder nach seinem Gutdünken verfuhr, war jedoch mit der größten Rücksichtnahme gegen den anderen verbunden, was sich selbst in den kleinsten Dingen zeigte. Andernfalls wäre As, so groß sein Hunger auch war, wohl doch der Appetit vergangen, denn die Rosigen hielten das Fleisch beim Essen nicht nur mit bloßen Fingern, sie nahmen es auch mit bloßen Fingern. Jedoch lösten sie, wenn sie ein Stück verzehrt hatten, das nächste nicht vom Braten, ohne sich vorher im Bach gewissenhaft die Hände zu waschen. Nach dem Mahle aber vergruben sie die Knochen und alle sonstigen Überbleibsel mit einer Sorgfalt, die
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