Der stille Amerikaner
erübrigen. Als ich Hanoi erreichte, waren die Zeitungskorrespondenten zur Unterweisung über den jüngst errungenen Sieg eben heraufgeflogen worden, und in der Maschine, die sie zurückbrachte, war für mich kein Platz frei. Pyle hatte noch am Morgen nach seiner Ankunft Phat Diem verlassen; er hatte seine Mission – mit mir über Phuong zu sprechen – erfüllt; es gab also nichts, was ihn noch festgehalten hätte. Ich hatte ihn schlafend zurückgelassen, als um fünf Uhr dreißig das Granatwerferfeuer eingestellt worden war; und als ich von einer Tasse Kaffee und einigen Keks in der Offiziersmesse zurückkehrte, war er bereits verschwunden. Ich nahm an, daß er einen kleinen Spaziergang unternommen habe – nach der Bootsfahrt von Nam Dinh herunter würden ihn ein paar Heckenschützen kaum gestört haben; er war ebenso unfähig, sich den Schmerz oder die Gefahr vorzustellen, die ihm selbst drohten, wie er unfähig war, den Schmerz zu empfinden, den er anderen bereiten mochte. Bei einem Anlaß – doch das war Monate später – verlor ich die Selbstbeherrschung und stieß seinen Fuß geradezu hinein, in den Schmerz, meine ich, und ich entsinne mich heute noch, wie er sich abwandte, perplex seinen beschmutzten Schuh betrachtete und erklärte: »Ich muß sie mir putzen lassen, bevor ich den Gesandten aufsuche.« Da wußte ich, daß er seine Phrasen bereits in dem Stil formte, den er von York Harding gelernt hatte. Und doch meinte er es auf seine Art ehrlich: Es war reiner Zufall, daß die Opfer jeweils von anderen gebracht werden mußten – bis zu jener letzten Nacht unter der Brücke von Dakow.
Erst bei meiner Rückkehr nach Saigon sollte ich erfahren, daß Pyle, während ich meinen Kaffee trank, einen jungen Marineoffizier überredet hatte, ihn in einem Landungsboot mitzunehmen, das ihn nach der üblichen Patrouillenfahrt heimlich in Nam Dinh an Land setzte. Er hatte Glück und gelangte, vierundzwanzig Stunden bevor die Straße amtlich als unterbrochen gemeldet wurde, mit seinem Trupp zur Trachom-Bekämpfung nach Hanoi zurück. Als ich dorthin kam, war er bereits nach Süden weitergereist, hatte aber beim Barmann des Presselagers einen Brief für mich hinterlassen.
»Lieber Thomas«, schrieb er, »ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie nobel Sie neulich waren. Das Herz fiel mir in die Hosen, das kann ich Ihnen sagen, als ich in das Zimmer kam, wo ich Sie finden sollte.« (Wo war es denn auf der langen Bootsfahrt den Fluß herunter gewesen?) »Es gibt nicht viele Männer, die die ganze Sache so gelassen aufgenommen hätten. Sie waren großartig, und nun, da ich Ihnen alles gestanden habe, komme ich mir lange nicht mehr so gemein vor wie vorher.« (War er denn der einzige, der zählte? fragte ich mich wütend, und doch wußte ich, daß er es nicht so meinte. Für ihn nahm die ganze Angelegenheit in dem Augenblick eine glückliche Wendung, in dem er sich nicht mehr gemein vorkam – ich würde glücklicher sein, Phuong würde glücklicher sein, die ganze Welt würde glücklicher sein, sogar der Handelsattaché und der Gesandte. Der Frühling hatte in Indochina Einzug gehalten, nun, da Pyle sich nicht mehr gemein vorkam.) »Ich habe hier vierundzwanzig Stunden auf Sie gewartet; aber wenn ich nicht heute abreise, werde ich erst in einer Woche nach Saigon gelangen, und mein Arbeitsfeld liegt im Süden. Den Jungs, die die Trachom-Bekämpfungstrupps anführen, habe ich gesagt, sie sollen sich mit Ihnen in Verbindung setzen – sie werden Ihnen gefallen. Es sind Prachtkerle und leisten ganze Männerarbeit. Machen Sie sich keine Sorgen, weil ich vor Ihnen nach Saigon zurückfahre. Ich verspreche Ihnen, Phuong bis zu Ihrer Rückkehr nicht zu besuchen. Ich möchte nicht, daß Sie später einmal das Gefühl haben, ich sei Ihnen gegenüber in irgendeiner Weise unfair gewesen. Mit herzlichsten Grüßen, Ihr Alden.«
Schon wieder diese sichere Annahme, daß »später einmal« ich es sein sollte, der Phuong verlieren würde. Stützt sich denn Selbstvertrauen auf den Wechselkurs? Wir Engländer pflegten einst gewisse Charaktereigenschaften mit unserem soliden Pfund Sterling zu vergleichen. Sind wir jetzt gezwungen, von einer Dollarliebe zu reden? Eine Dollarliebe würde Heirat, einen Stammhalter und den Muttertag einschließen, obwohl später auch Reno und die Jungferninseln dazukommen mochten, oder wohin die Amerikaner sonst heutzutage gehen, wenn sie sich scheiden lassen wollen. Eine Dollarliebe hatte gute Vorsätze, ein reines
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