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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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weiß doch, daß Sie es ehrlich meinen, absolut ehrlich. Uns beiden liegt doch nur Phuongs Vorteil am Herzen.«
    Plötzlich konnte ich seine Knabenhaftigkeit nicht länger ertragen. Ich sagte: »Phuongs Vorteil ist mir schnuppe. Sie können ihren Vorteil haben, ich möchte nur ihren Körper. Ich möchte sie bei mir im Bett haben. Eher möchte ich sie ruinieren und mit ihr schlafen als – als … mich um ihren verdammten Vorteil kümmern.«
    »Oh«, brachte er mit schwacher Stimme im Dunkel hervor.
    Ich fuhr fort: »Wenn es Ihnen nur um ihren Vorteil geht, dann lassen Sie Phuong um Gottes willen in Ruhe. Wie jede andere Frau hätte auch sie lieber einen guten …« Das Krachen einer Granate rettete die vornehmen Bostoner Ohren vor dem angelsächsischen Wort.
    Doch in Pyle steckte unerbittliche Zähigkeit. Er hatte entschieden, daß ich mich einwandfrei benahm, und so mußte ich mich auch einwandfrei benehmen. »Ich weiß, was Sie leiden, Thomas«, sagte er.
    »Ich leide gar nicht.«
    »O ja, Sie leiden. Ich weiß, was ich leiden würde, wenn ich Phuong aufgeben müßte.«
    »Aber ich habe sie nicht aufgegeben.«
    »Thomas, auch ich bin recht sinnlich, aber ich würde jede Hoffnung auf solche Dinge aufgeben, wenn ich nur Phuong glücklich sehen könnte.«
    »Sie ist ja glücklich.«
    »Sie kann es nicht sein – nicht in ihrer jetzigen Lage. Sie braucht Kinder.«
    »Glauben Sie wirklich den ganzen Blödsinn, den ihre Schwester …?«
    »Eine Schwester weiß manchmal besser, was …«
    »Sie hat nur versucht, Ihnen diesen Gedanken einzureden, weil sie glaubt, Sie haben mehr Geld. Und, bei Gott, das ist ihr gelungen.«
    »Ich habe nur mein Gehalt.«
    »Na, jedenfalls können Sie das zu einem günstigen Kurs umwechseln.«
    »Seien Sie nicht so bitter, Thomas. Solche Dinge passieren nun einmal. Ich wollte, es wäre einem anderen passiert, und nicht gerade Ihnen. Sind das unsere Granatwerfer?«
    »Ja, das sind ›unsere‹ Granatwerfer. Pyle, Sie reden gerade so, als ob Phuong mich verlassen würde.«
    »Natürlich wäre es möglich, daß sie sich entschließt, bei Ihnen zu bleiben«, sagte er ohne innere Überzeugung.
    »Und was würden Sie in diesem Fall tun?«
    »Ich würde um Versetzung ansuchen.«
    »Warum gehen Sie nicht einfach fort, Pyle, ohne Unfrieden zu stiften?«
    »Das wäre ihr gegenüber nicht fair, Thomas«, sagte er ganz ernst. Ich habe nie einen Menschen gekannt, der bessere Beweggründe für all das Unheil gehabt hätte, das er anrichtete. »Ich glaube, Sie verstehen Phuong nicht ganz«, schloß er.
    Und als ich etliche Monate später an jenem Morgen erwachte und Phuong an meiner Seite lag, dachte ich: Und hast du sie etwa verstanden? Hättest du diese Situation vorhersehen können? Phuong so glücklich schlafend neben mir und du tot? – Die Zeit nimmt ihre Rache, aber die Rache schmeckt oft bitter. Wäre es nicht besser, wir versuchten gar nicht erst, einander zu verstehen, und fänden uns mit der Tatsache ab, daß kein Mensch jemals einen anderen versteht, nicht die Gattin den Gatten, nicht der Liebhaber die Geliebte, nicht die Eltern das Kind? Vielleicht ist das der Grund, weshalb die Menschen Gott erfunden haben – ein Wesen, das fähig ist zu verstehen. Vielleicht könnte ich mir sogar, wenn ich andere verstehen oder von ihnen verstanden werden wollte, den Glauben an Gott einreden. Doch ich bin ein Reporter; Gott existiert bloß für die Verfasser der Leitartikel.
    »Sind Sie auch sicher, daß es bei ihr viel zu verstehen gibt?« fragte ich ihn. »Trinken wir um Gottes willen einen Whisky! Es ist zu laut für eine Debatte.«
    »Es ist ein bißchen früh«, sagte Pyle.
    »Es ist verdammt spät.«
    Ich goß zwei Gläser voll. Pyle nahm das seine in die Hand und starrte durch den Whisky hindurch in die Kerzenflamme. Seine Hand zitterte jedesmal, wenn eine Granate explodierte, und doch hatte er diese sinnlose Reise aus Nam Dinh unternommen.
    Er sagte: »Merkwürdig, daß keiner von uns ein Prosit über die Lippen bringt.« So tranken wir also und sagten nichts.

Fünftes Kapitel
     
1
     
    Ich hatte angenommen, ich würde nur eine Woche von Saigon fort sein, aber es vergingen fast drei, ehe ich dorthin zurückkehrte. Vor allem erwies es sich als schwieriger, aus dem Gebiet von Phat Diem herauszukommen, als dort hineinzugelangen. Die Straße zwischen Nam Dinh und Hanoi war unterbrochen, und einen Platz in einem Flugzeug konnte man für einen Reporter, der ohnehin nicht hätte dort sein dürfen, nicht

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