Der stille Amerikaner
Gewissen und scherte sich den Teufel um alle anderen. Meine Liebe hingegen hatte keine Vorsätze: Sie kannte die Zukunft. Man konnte nicht mehr tun, als zu versuchen, der Zukunft ihre Härte zu nehmen, sie, wenn sie kam, anderen schonend beizubringen, und da hatte sogar das Opium seine Qualitäten. Doch niemals hätte ich geahnt, daß die erste Zukunft, die ich Phuong schonend beibringen mußte, Pyles Tod sein sollte.
Da ich nichts Besseres zu tun wußte, begab ich mich zur Pressekonferenz. Granger war natürlich dort. Den Vorsitz führte ein junger und viel zu hübscher französischer Oberst. Er sprach französisch, und ein untergeordneter Offizier übersetzte. Die französischen Korrespondenten saßen beisammen wie eine gegnerische Fußballmannschaft. Es fiel mir schwer, mich auf die Ausführungen des Obersten zu konzentrieren; immer wieder wanderten meine Gedanken zu Phuong und der einen bangen Frage zurück: Angenommen, Pyle hat recht und ich verliere sie – wohin kann man von hier aus noch gehen?
Der Dolmetscher erklärte: »Der Oberst gibt Ihnen bekannt, daß der Feind eine empfindliche Niederlage und schwere Verluste erlitten hat – etwa in Stärke eines Bataillons. Seine Nachhut zieht sich derzeit auf improvisierten Flößen über den Roten Fluß zurück. Sie wird von unserer Luftwaffe ununterbrochen bombardiert.« Der Oberst fuhr sich mit der Hand durch das elegant gekämmte strohblonde Haar und tänzelte, den Zeigestab schwenkend, an der langen Reihe von Wandkarten entlang. Ein amerikanischer Korrespondent stellte die Frage: »Wie hoch sind die französischen Verluste?«
Der Oberst kannte die Bedeutung dieser Frage nur zu genau – meist wurde sie in dieser Phase der Pressekonferenz aufgeworfen –, aber er wartete, mit dem gütigen Lächeln eines beliebten Lehrers den Zeigestab erhoben, bis die Frage übersetzt war. Dann gab er mit geduldiger Miene eine zweideutige Antwort.
»Der Oberst sagt, daß unsere Verluste nicht schwer waren. Die genauen Ziffern sind allerdings noch nicht bekannt.«
Das war stets das Zeichen zum Aufruhr. Man sollte meinen, der Oberst hätte früher oder später eine Methode gefunden, um mit seiner Klasse von widerspenstigen Schülern fertig zu werden, oder der Schulleiter hätte ein anderes Mitglied seines Lehrkörpers, das besser Disziplin halten konnte, mit dieser Aufgabe betraut.
»Will uns der Oberst allen Ernstes glauben machen«, ließ sich Granger vernehmen, »daß er wohl Zeit gehabt hat, die Toten des Feindes zu zählen, nicht aber seine eigenen?«
Mit Langmut wob der Oberst sein Gespinst von Ausflüchten weiter, von dem er genau wissen mußte, daß schon die nächste Frage es zerstören würde. Die französischen Berichterstatter saßen in düsterem Schweigen da. Sollten ihre amerikanischen Kollegen den Oberst zu einem Eingeständnis reizen, dann würden sie sich gierig darauf stürzen, aber an einem Kesseltreiben gegen ihren Landsmann würden sie sich nicht beteiligen.
»Der Oberst sagt, daß die feindlichen Streitkräfte überrannt werden. Es ist zwar möglich, die Gefallenen hinter der Kampflinie zu zählen, aber während die Schlacht noch im Gang ist, können Sie von den vorrückenden französischen Einheiten keine Zahlenangaben erwarten.«
»Es dreht sich nicht darum, was wir erwarten«, entgegnete Granger, »sondern was der Etat-Major weiß oder nicht weiß. Wollen Sie uns im Ernst einreden, daß die einzelnen Züge ihre Verluste nicht laufend mittels Funkgerät melden?«
Die Gelassenheit des Obersten war im Schwinden. Hätte er uns doch nur, so dachte ich, gleich zu Beginn den Wind aus den Segeln genommen und mit aller Entschiedenheit erklärt, daß er die Verlustziffern wohl kenne, sie aber nicht bekanntzugeben gedenke. Schließlich war das der Krieg der Franzosen, nicht der unsere. Wir hatten keinen gottgegebenen Anspruch auf Informationen. Wir mußten nicht zwischen dem Roten und dem Schwarzen Fluß gegen die Truppen Ho Chi Minhs und zugleich in Paris gegen die Abgeordneten der Linken kämpfen. Wir starben nicht.
Bissig stieß plötzlich der Oberst die Mitteilung hervor, daß die französischen Verluste zu denen des Feindes im Verhältnis von eins zu drei gestanden hätten. Dann kehrte er uns den Rücken und starrte wütend auf seine Landkarten. Diese Männer, die nun tot waren, waren seine Kameraden gewesen, hatten demselben Jahrgang von St. Cyr angehört – für ihn waren sie keine Ziffern wie für Granger. »Na, jetzt kommen wir endlich vom
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