Der stille Amerikaner
Fußbodens versprach Ruhe. Ich überlegte, doch sonderbarerweise ohne eine Spur von Eifersucht, ob Phuong in der Wohnung war. Der Besitz eines Körpers schien mir in dieser Nacht höchst belanglos – vielleicht hatte ich an jenem Tag zu viele Körper gesehen, die niemand gehörten, nicht einmal sich selbst. Wir waren alle entbehrlich. Als ich einschlief, träumte ich von Pyle. Er tanzte ganz allein auf einer Bühne, mit steifen Bewegungen, die Arme nach einer unsichtbaren Partnerin ausgestreckt, und ich beobachtete ihn von einem Sitz aus, der einem Klavierstuhl glich; in der Hand hielt ich eine Pistole, für den Fall, daß irgend jemand ihn in seinem Tanz zu stören versuchte. Eine Programmtafel, die wie in einem englischen Variete neben der Bühne aufgestellt war, verkündete: »Der Liebestanz. Jugendverbot!« Im Hintergrund des Zuschauerraums regte sich etwas, ich umklammerte den Griff meiner Waffe fester. Dann erwachte ich.
Meine rechte Hand lag auf dem Revolver, den man mir geliehen hatte, und in der Tür stand ein Mann, in der Hand eine Kerze. Er trug einen Stahlhelm, dessen Rand seine Augen überschattete. Erst als er zu sprechen begann, erkannte ich ihn: Es war Pyle. Verlegen sagte er: »Tut mir furchtbar leid, daß ich Sie aufgeweckt habe. Man sagte mir, ich könnte hier schlafen.«
Ich war noch nicht völlig wach. »Woher haben Sie diesen Stahlhelm?« fragte ich.
»Ach, den hat mir jemand geliehen«, gab er vage zur Antwort. Hinter sich schleppte er jetzt einen Tornister herein und begann daraus einen wollgefütterten Schlafsack hervorzuziehen.
»Sie sind glänzend ausgerüstet«, stellte ich fest, während ich mir klarzuwerden versuchte, warum jeder von uns eigentlich hier war.
»Das ist die normale Reiseausrüstung unserer Sanitätsmannschaften. In Hanoi lieh man mir eine.« Er holte eine Thermosflasche und einen kleinen Spirituskocher aus dem Tornister hervor, dann eine Haarbürste, Rasierzeug und eine Dose mit einer Verpflegungsration. Ich blickte auf die Uhr. Es war kurz vor drei.
2
Pyle fuhr fort, auszupacken. Er schichtete die Kisten so, daß sie einen schmalen Sims bildeten, auf den er den Rasierspiegel und die übrigen Toilettengegenstände stellte. »Ich zweifle, ob Sie hier Wasser kriegen werden«, sagte ich.
»Oh«, meinte er, »ich habe genug in der Thermosflasche für morgen früh.« Er setzte sich auf seinen Schlafsack und begann, die Stiefel auszuziehen.
»Wie in aller Welt sind Sie hierhergekommen?« fragte ich.
»Man ließ mich bis Nam Dinh durch, damit ich unsere Trachom-Bekämpfungsabteilung besuchen könnte, und dort mietete ich mir ein Boot.«
»Ein Boot?«
»Ach, es war so ein flacher Kahn – keine Ahnung, wie man die Dinger nennt. Das heißt, eigentlich mußte ich ihn kaufen. Kostete gar nicht viel.«
»Und sie fuhren damit ganz allein den Fluß herunter?«
»Das war nicht so schwierig. Ich ließ mich von der Strömung treiben.«
»Sie sind ja verrückt!«
»Durchaus nicht. Die einzig wirkliche Gefahr bestand darin, irgendwo auf Grund zu laufen.«
»Oder daß eine Marinepatrouille Sie zusammenschießt, oder ein französischer Flieger. Oder daß Ihnen die Vietminh die Kehle durchschneiden.«
Er lachte schüchtern. »Na, jedenfalls bin ich da.«
»Und wozu?«
»Nun, dafür gibt es zwei Gründe. Aber ich will Sie nicht so lange wach halten.«
»Ich bin nicht müde. Die Geschütze werden bald das Feuer eröffnen.«
»Haben Sie etwas dagegen, wenn ich die Kerze woanders hinstelle? Hier ist sie mir ein bißchen zu hell.« Er schien nervös zu sein.
»Also, was ist Ihr erster Grund?«
»Nun, kürzlich brachten Sie mich auf den Gedanken, daß diese Gegend sehr interessant sein könnte. Sie erinnern sich, als wir mit Granger beisammen waren … und mit Phuong.«
»Ja, und?«
»Da kam mir die Idee, ich könnte mir die Geschichte mal ansehen. Um es ganz ehrlich zu sagen, ich schämte mich ein wenig für Granger.«
»Aha. Alles ganz einfach.«
»Na, es gab doch keine wirkliche Schwierigkeit, nicht wahr?« Er begann mit den Schnürbändern seiner Stiefel zu spielen, und es trat eine lange Stille ein. »Ich war vorhin nicht ganz aufrichtig«, sagte er endlich.
»Nicht?«
»Nein, denn eigentlich bin ich gekommen, um mit Ihnen zu sprechen.«
»Sie sind hierhergekommen, um mit mir zu sprechen?«
»Ja.«
»Weshalb?«
Er sah in qualvoller Verlegenheit von den Schuhbändern auf. »Ich mußte es Ihnen gestehen – ich habe mich in Phuong verliebt.«
Ich lachte. Ich
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