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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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konnte einfach nicht anders. Er sagte so überraschende Dinge und blieb dabei so todernst. »Hätte das nicht warten können, bis ich zurückkam?« fragte ich. »Nächste Woche bin ich wieder in Saigon.«
    »Sie hätten ums Leben kommen können«, sagte er. »Dann wäre es unehrenhaft gewesen. Und außerdem weiß ich nicht, ob ich es fertiggebracht hätte, Phuong die ganze Zeit fernzubleiben.«
    »Wollen Sie damit sagen, Sie haben sich von ihr ferngehalten?«
    »Selbstverständlich. Sie werden doch nicht etwa annehmen, daß ich es ihr sagen würde – ohne Ihr Wissen.«
    »So etwas kommt vor«, meinte ich. »Wann ist es denn passiert?«
    »Ich glaube, es war an dem Abend, als wir im ›Chalet‹ waren und ich mit ihr tanzte.«
    »Und ich dachte, Sie wären gar nicht nahe genug an sie herangekommen.«
    Er sah mich verdutzt an. Wenn mir sein Verhalten verrückt erschien, so war das meine für ihn offensichtlich völlig unbegreiflich. »Wissen Sie, es lag wohl daran, daß ich in jenem Haus die vielen Mädchen gesehen hatte. Sie waren so hübsch. Ja, Phuong hätte eine von ihnen sein können, und da wollte ich sie beschützen.«
    »Ich denke, sie braucht keinen Schutz. Hat vielleicht Miss Hei Sie eingeladen?«
    »Ja, aber ich bin nicht hingegangen. Ich habe mich ferngehalten.« Düster sagte er: »Es war schrecklich. Ich komme mir so gemein vor. Aber Sie glauben mir doch, nicht wahr, wenn Sie verheiratet wären – nun, daß ich mich niemals zwischen einen Mann und seine Frau drängen würde.«
    »Sie scheinen ja sehr sicher zu sein, daß Sie sich dazwischendrängen können.« Zum erstenmal hatte er mich gereizt.
    »Fowler«, sagte er. »Ich weiß Ihren Vornamen nicht …«
    »Thomas. Warum?«
    »Ich darf Sie doch Tom nennen, nicht? Irgendwie habe ich das Gefühl, daß uns diese Sache zusammengebracht hat. Die Liebe zu derselben Frau, meine ich.«
    »Und was ist jetzt Ihr nächster Schachzug?«
    Voll Begeisterung setzte er sich auf, hinter sich die Kisten. »Jetzt, wo Sie es wissen, sieht auf einmal alles ganz anders aus«, sagte er. »Ich werde Phuong bitten, mich zu heiraten, Tom.«
    »Es ist mir lieber, wenn Sie mich Thomas nennen.«
    »Sie wird einfach zwischen uns beiden wählen müssen, Thomas. Das ist doch ganz fair.« War es wirklich fair? Ich spürte zum erstenmal den eisigen Hauch künftiger Einsamkeit. Das Ganze war phantastisch, und doch … Pyle war vielleicht ein armseliger Liebhaber, aber ich war ein armseliger Mensch. Er hielt in seiner Hand den unermeßlichen Reichtum der Respektabilität.
    Er begann sich zu entkleiden, und ich dachte: Jung ist er auch! – Wie traurig war es doch, Pyle beneiden zu müssen.
    »Ich kann sie nicht heiraten. Ich habe daheim eine Frau«, sagte ich. »Sie würde sich nie von mir scheiden lassen. Sie gehört der Hochkirche an – falls Sie wissen, was das bedeutet.«
    »Das bedaure ich sehr, Thomas. Übrigens, mein Vorname ist Alden, wenn Sie mich so nennen wollen …«
    »Ich bleibe lieber bei Pyle«, sagte ich. »Die Vorstellung von Ihnen verbinde ich immer mit dem Namen Pyle.«
    Er schlüpfte in den Schlafsack und griff nach der Kerze. »Huh! Bin ich froh, daß das vorüber ist, Thomas. Ich hatte ein furchtbar schlechtes Gewissen.« Es war ihm nur zu deutlich anzusehen, daß er es jetzt nicht mehr hatte.
    Nachdem er die Kerze ausgelöscht hatte, konnte ich im Schein der Flammen vor dem Fenster eben noch die Umrisse seines militärischen Bürstenhaarschnitts ausnehmen. »Gute Nacht, Thomas. Schlafen Sie gut.« Und als hätte er mit diesem Wunsch in einer schlechten Komödie ein Stichwort gegeben, eröffneten im selben Augenblick die Granatwerfer ihr Feuer, jeder Schuß ein Schwirren, ein Aufheulen, ein dumpfes Krachen.
    »Grundgütiger, ist das ein Angriff?« sagte Pyle.
    »Sie versuchen, einen Angriff aufzuhalten.«
    »Na, dann gibt’s für uns wohl keinen Schlaf mehr?«
    »Nein.«
    »Thomas, ich möchte Ihnen gern sagen, was ich von der Art denke, wie Sie alles hingenommen haben – Sie sind hochnobel gewesen, wirklich hochnobel – es gibt kein anderes Wort dafür.«
    »Vielen Dank.«
    »Sie haben so viel mehr von der Welt gesehen als ich. Wissen Sie, in mancher Hinsicht ist Boston ein bißchen – beengend. Selbst wenn man nicht ein Lowell oder ein Cabot ist. Könnten Sie mich nicht beraten, Thomas?«
    »Worin denn?«
    »Phuong.«
    »An Ihrer Stelle würde ich nicht meinen Ratschlägen vertrauen. Ich bin nämlich voreingenommen, ich möchte sie behalten.«
    »Aber ich

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