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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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riesige Globus über dem Altar war Ehrgeiz; der Korb mit dem beweglichen Deckel, worin der Papst seine Prophezeiungen vollzog, war Betrug. Wenn diese Kathedrale fünf Jahrhunderte bestanden hätte anstatt nur zwei Jahrzehnte, hätte sie dann mit den Schleifspuren unzähliger Füße und der Verwitterung ihres Gesteins eine gewisse Überzeugungskraft gewonnen? Würde jemand, der so wie meine Frau überzeugbar war, hier den Glauben finden, den sie in menschlichen Wesen nicht finden konnte? Und wenn ich mich wirklich nach einem Glauben gesehnt hätte, hätte ich ihn in ihrem normannischen Gotteshaus gefunden? Aber ich habe mich nie nach einem Glauben gesehnt. Die Aufgabe eines Reporters ist es, die Dinge aufzudecken und zu verzeichnen. Niemals hatte ich in meiner Laufbahn das Unerklärliche entdeckt. Der Papst machte seine Weissagungen mit Hilfe eines Bleistifts in einem beweglichen Korbdeckel, und die Leute glaubten sie. In jeder Vision kann man irgendwo das Schreibtäfelchen des Spiritisten finden. Ich hatte keine Visionen oder Wunder im Repertoire meines Gedächtnisses.
    Ich blätterte aufs Geratewohl in meinen Erinnerungen wie in einem Bilderalbum: Da war ein Fuchs, den ich in der Nähe von Orpington im Schein einer feindlichen Leuchtrakete gesehen hatte; er war aus seinem Bau im rostbraunen Dickicht des Ödlandes herausgekommen und hatte sich an einen Hühnerstall angeschlichen. Dann sah ich den Leichnam eines Malaien, von Bajonettstichen durchbohrt, den eine Patrouille von Gurkhas auf einem Lastwagen in ein Bergarbeiterlager in Pahang zurückbrachte, während die chinesischen Kulis nervös kichernd danebenstanden und ein anderer Malaie ein Kissen unter den Kopf des Toten schob. Es gab die Figur einer Taube, eben zum Flug ansetzend, auf dem Kaminsims in einem Hotelzimmer; das Gesicht meiner Frau am Fenster, als ich heimkam, um ihr zum letztenmal Lebewohl zu sagen. Meine Gedanken begannen und endeten bei ihr. Sie mußte meinen Brief vor mehr als einer Woche erhalten haben, und das Telegramm, das ich nicht erwartete, war nicht eingetroffen. Aber die Leute sagen, wenn sich die Geschworenen lange genug zurückziehen, besteht Hoffnung für den Angeklagten. Falls nach einer weiteren Woche kein Brief kam, durfte ich dann zu hoffen beginnen? Rings um mich konnte ich hören, wie die Autos der Offiziere und Diplomaten auf Touren gebracht wurden – das Fest war vorbei, bis zum nächsten Jahr. Nun setzte die Massenflucht ein, zurück nach Saigon, die allabendliche Ausgehsperre rief. Ich trat hinaus, um Pyle zu suchen.
    Er stand mit dem Kommandanten an einer schattigen Stelle, und kein Mensch tat irgend etwas an seinem Wagen. Die Unterhaltung, worum immer sie sich gedreht haben mochte, schien beendet zu sein, und sie standen schweigend beisammen, gehemmt durch gegenseitige Höflichkeit. Ich trat zu ihnen.
    »Nun«, sagte ich zu Pyle, »ich denke, ich werde mich auch auf den Weg machen. Sie sollten auch fahren, wenn Sie daheim sein wollen, bevor die Straße gesperrt wird.«
    »Der Mechaniker ist nicht gekommen.«
    »Er wird bald da sein«, sagte der Kommandant. »Er nahm an der Parade teil.«
    »Sie könnten ja über Nacht bleiben«, meinte ich. »Es gibt hier eine besondere Messe. Sie werden sehen, die ist ein Erlebnis. Sie dauert volle drei Stunden.«
    »Ich sollte aber zurückfahren.«
    »Wenn Sie nicht gleich losfahren, werden Sie nicht zurückkommen.« Widerstrebend fügte ich hinzu: »Wenn Sie wollen, nehme ich Sie mit, und der Herr Kommandant kann Ihren Wagen morgen nach Saigon bringen lassen.«
    »Auf caodaistischem Gebiet brauchen Sie sich um die Sperrstunde nicht zu kümmern«, erklärte der Kommandant selbstgefällig. »Aber außerhalb … Selbstverständlich werde ich Ihnen den Wagen morgen hineinschicken.«
    »Mit unbeschädigtem Auspuff«, fügte ich hinzu, und er lächelte strahlend, stramm und tüchtig, die militärische Abkürzung eines Lächelns.

2
     
    Die Prozession der Wagen war schon weit voraus, als wir endlich losfuhren. Ich steigerte die Geschwindigkeit, um sie einzuholen, aber wir hatten die Zone der Gaodaisten bereits hinter uns gelassen und waren in das Gebiet der Hoa Haos gelangt, ohne auch nur eine Staubwolke vor uns zu erblicken. Flach und leer war das Land im Abendlicht.
    Es war nicht eben die Art Gelände, die man mit einem Hinterhalt verbindet, dennoch konnten sich nur wenige Meter vom Straßenrand entfernt Menschen nackentief in den überschwemmten Reisfeldern versteckt halten.
    Pyle

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