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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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haben wir den Salat«, sagte ich. Die beiden Wachen lauschten mit offenem Mund, den Blick zur Schießscharte gewandt.
    »Was ist das?« fragte Pyle.
    Die wenigen Schritte zur Öffnung in der Wand waren wie ein Gang mitten durch die Stimme hindurch. Ich blickte rasch hinaus: Nichts war zu sehen – ich konnte nicht einmal die Straße erkennen. Und als ich in den Raum zurückblickte, war das Gewehr im Anschlag; ich war nicht sicher, ob es auf mich gerichtet war oder auf die Schießscharte. Doch als ich mich an der Wand entlang weiterschob, schwankte der Gewehrlauf, zögerte, nahm mich aufs Korn: Die Stimme dröhnte weiter und wiederholte immer wieder dasselbe. Ich setzte mich hin und der Gewehrlauf senkte sich.
    »Was sagt er denn?« fragte Pyle.
    »Ich weiß es nicht. Vermutlich haben sie den Wagen entdeckt und fordern jetzt die Burschen auf, sie sollen uns herausgeben. Nehmen Sie lieber diese Maschinenpistole, bevor die beiden zu einem Entschluß gekommen sind.«
    »Er wird schießen.«
    »Er ist sich noch nicht sicher. Sobald er es ist, schießt er ohnehin.«
    Pyle schob ein Bein zur Seite und holte darunter die Maschinenpistole hervor.
    »Ich bewege mich jetzt an der Wand entlang«, sagte ich. »Wenn er Sie einen Moment aus den Augen läßt, legen Sie auf ihn an.«
    Gerade als ich mich erhob, verstummte die Stimme: Die Stille ließ mich zusammenfahren. Pyle sagte scharf:
    »Schmeiß das Gewehr hin!« Ich hatte gerade noch Zeit, mich zu fragen, ob die Maschinenpistole überhaupt geladen war – ich hatte mir nicht die Mühe genommen, nachzusehen –, als der Soldat sein Gewehr auf den Boden warf.
    Ich durchquerte den Raum und hob es auf. Dann begann die Stimme von neuem – ich hatte den Eindruck, daß sich nicht eine Silbe verändert hatte. Vielleicht verwendeten sie eine Schallplatte. Ich überlegte, wann das Ultimatum ablaufen würde.
    »Was kommt als nächstes?« fragte Pyle wie ein Schuljunge, der in einem Labor bei einem Experiment zusieht: Er schien persönlich von den Ereignissen gar nicht berührt zu sein.
    »Vielleicht eine Bazooke, vielleicht ein Vietminh.«
    Prüfend betrachtete Pyle die Maschinenpistole. »Daran scheint nichts Geheimnisvolles zu sein«, meinte er. »Soll ich ein paar Schüsse abgeben?«
    »Nein, lassen Sie sie lieber im Ungewissen. Sie zögern noch, weil sie den Posten lieber ohne Schießerei besetzen möchten, und das gibt uns Zeit. Wir sollten so schnell wie möglich verschwinden.«
    »Möglicherweise warten sie unten auf uns.«
    »Das kann sein.«
    Die beiden Männer beobachteten uns – ich sage »Männer«, obwohl ich bezweifeln möchte, daß sie es zusammen auf vierzig Jahre brachten. »Und die beiden da?« fragte Pyle. Und er setzte mit erschreckender Direktheit hinzu: »Soll ich sie niederknallen?« Vielleicht wollte er seine Maschinenpistole ausprobieren.
    »Sie haben uns nichts getan.«
    »Aushändigen wollten sie uns.«
    »Warum auch nicht?« sagte ich. »Wir haben hier nichts zu suchen. Es ist ihr Land.«
    Ich entlud das Gewehr und legte es auf den B6den. Pyle sagte: »Sie werden es doch nicht dalassen?«
    »Ich bin zu alt, mit einem Gewehr zu rennen. Und es ist nicht mein Krieg. Kommen Sie.«
    Es war nicht mein Krieg, aber es wäre mir lieb gewesen, wenn die anderen draußen in der Dunkelheit es ebenfalls gewußt hätten. Ich blies die Öllampe aus, setzte mich in die Falltür und ließ die Beine in der Öffnung baumeln, bis ich die Leiter fand. Ich konnte hören, wie die beiden Wachen miteinander wisperten, in ihrer Sprache klang es wie ein sentimentales Lied. »Laufen Sie schnurstracks auf das Reisfeld zu!« befahl ich Pyle.
    »Vergessen Sie nicht: Es steht unter Wasser – ich weiß nicht, wie tief es ist. Fertig?«
    »Ja.«
    »Danke für Ihre Gesellschaft.«
    »Stets ein Vergnügen«, sagte er.
    Ich hörte die Wachen sich hinter uns rühren, und ich fragte mich, ob sie Messer hatten. Die Megaphonstimme sprach jetzt in gebieterischem Ton, als gäbe sie eine letzte Chance. Etwas regte sich leise in der Dunkelheit unter uns, doch es mochte nur eine Ratte sein. Ich zögerte. »Mein Gott, jetzt könnte ich einen Drink vertragen«, flüsterte ich.
    »Los, gehen wir!«
    Etwas kam jetzt die Leiter herauf: Ich hörte nichts, aber die Leiter bebte unter meinen Füßen.
    »Warum gehen Sie nicht weiter?« sagte Pyle.
    Ich weiß nicht, warum ich jenes lautlos und verstohlen heranschleichende Wesen als ein Etwas bezeichnete. Nur ein Mensch kann eine Leiter ersteigen, und doch konnte

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