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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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getan haben‹ – denkst Du nicht so? Was würdest Du tun, wenn ich ›ja‹ telegrafierte? Würdest Du sie tatsächlich heiraten? (Ich muß ›sie‹ schreiben, weil Du mir ihren Namen verschwiegen hast.) Vielleicht würdest Du es tun. Ich vermute, daß Du, wie wir alle, langsam alt wirst und nicht mehr gern allein lebst. Auch ich fühle mich manchmal sehr einsam. Anne hat, wie ich höre, einen neuen Freund gefunden. Aber sie hast Du ja noch zur rechten Zeit verlassen.«
    Sie hatte den getrockneten Schorf über meiner Wunde genau getroffen. Ich nahm noch einen Schluck. Eine Blutfehde – dieser Ausdruck fiel mir ein.
    »Laß dir eine Pfeife richten«, sagte Phuong.
    »Wie du willst«, meinte ich, »wie du willst.«
    »Das ist der eine Grund, weshalb ich nein sagen sollte. (Über den religiösen Grund brauchen wir nicht erst zu sprechen, weil Du den nie verstanden noch anerkannt hast.) Die Ehe hindert Dich nicht daran, eine Frau zu verlassen, nicht wahr? Sie verzögert nur den Prozeß; und in diesem Fall wäre es nur um so unfairer jener Frau gegenüber, wenn Du mit ihr so lange zusammenlebtest wie mit mir. Du würdest sie nach England mitbringen, wo sie verloren und völlig fremd wäre. Und wenn Du sie dann verläßt, wie furchtbar einsam wird sie sich fühlen! Ich nehme an, daß sie nicht einmal mit Messer und Gabel ißt, oder? Ich spreche mit solcher Härte, weil ich mehr an ihr Wohl denke, als an das Deine. Aber, mein lieber Thomas, ich denke wirklich auch an das Deine.«
    Ich empfand körperliches Übelsein. Es war lange her, daß ich von meiner Frau einen Brief erhalten hatte. Ich hatte sie zum Schreiben gezwungen, und ich konnte ihren Schmerz aus jeder Zeile herausfühlen. Ihr Schmerz traf den meinen: Wir waren zu unserer alten Gewohnheit, einander weh zu tun, zurückgekehrt. Wenn es doch nur möglich wäre, zu lieben, ohne Leid zuzufügen – Treue allein ist nicht genug. Anne war ich treu gewesen, und doch hatte ich ihr weh getan. Die Verletzung liegt im Akt des Besitzens: Wir sind geistig und körperlich zu armselig, als daß wir einen anderen Menschen ohne Stolz besitzen oder ihn ohne Demütigung von uns Besitz ergreifen lassen könnten. In gewissem Sinn war ich froh, daß meine Frau wieder einmal auf mich losgeschlagen hatte – zu lange hatte ich ihren Schmerz vergessen, und dies war die einzige Sühne, die ich ihr bieten konnte. Leider sind es immer die Unschuldigen, die in jeden Konflikt hineingezogen werden. Immer und überall gibt es eine Stimme, die klagend aus einem Turm ruft.
    Phuong zündete das Opiumlämpchen an. »Erlaubt sie dir, mich zu heiraten?« fragte sie.
    »Das weiß ich noch nicht.«
    »Sagt sie es denn nicht?«
    »Wenn sie es sagt, dann sagt sie es sehr umständlich.«
    Ich dachte: Wieviel hältst du dir darauf zugute, daß du dégagé bist, ein unbeteiligter Berichterstatter, nicht ein Leitartikler, und was für eine Verwirrung stiftest du hinter den Kulissen. Die andere Art des Kriegführens ist viel harmloser als diese. Mit einem Granatwerfer richtet man weniger Unheil an.
    »Und wenn ich gegen meine innerste Überzeugung handelte und ja sagte, würde dies überhaupt zu Deinem Nutzen geschehen? Du sagst, Du seist nach England zurückberufen worden, und ich kann mir vorstellen, wie sehr Du das haßt und wie Du alles unternehmen wirst, um Dir diesen Schritt zu erleichtern. Ich kann mir denken, daß Du Dich zum Heiraten entschließt, wenn Du ein Glas über den Durst getrunken hast. Das erste Mal gaben wir uns alle Mühe – Du sowohl wie ich –, und es mißlang. Das zweite Mal gibt man sich nicht mehr so viel Mühe. Du behauptest, der Verlust dieser jungen Frau würde für Dich das Ende des Lebens bedeuten. Genau dieselbe Wendung hast Du einmal mir gegenüber gebraucht – den Brief könnte ich Dir zeigen; ich besitze ihn noch – und an Anne schriebst Du wahrscheinlich dasselbe. Du behauptest, wir hätten uns stets bemüht, einander die Wahrheit zu sagen. Aber, Thomas, Deine Wahrheit ist immer sehr zeitbedingt. Welchen Sinn hat es da, mit Dir zu zanken oder zu versuchen, Dich zur Vernunft zu bringen? Da fällt es schon leichter, so zu handeln, wie mein Glaube mir zu handeln vorschreibt – Deiner Ansicht nach widersinnigerweise –, und einfach zu erklären: Ich halte nichts von einer Scheidung; meine Religion verbietet sie, und deshalb, Thomas, ist die Antwort nein – nein.«
    Es folgte noch eine halbe Seite, die ich nicht las, und dann kam: »In Liebe Deine Helen.« Ich glaube,

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