Der stille Amerikaner
glaubte …«
»Wer war Madame Bompierre?« fragte ich und drehte den Kopf zur Seite, um zum Waschbecken hinüberzuschauen, wo sie manchmal wichtige Notizen zwischen die Fläschchen und Tiegel steckte.
»Das habe ich dir doch schon gesagt. Sie war Corinnes Mutter, und sie war auf der Suche nach einem Mann, weil sie Witwe war …«
Sie saß auf dem Bett und legte ihre Hand unter mein Hemd. »Es war sehr komisch«, sagte sie.
»Küß mich, Phuong.« Koketterie war ihr unbekannt. Sofort erfüllte sie meinen Wunsch und erzählte dann die Handlung des Films weiter. Genauso würde sie sich mir hingegeben haben, wenn ich es verlangt hätte, ohne Frage würde sie ihre lange Hose abgestreift haben; und hernach hätte sie den Faden von Madame Bompierres Geschichte und dem peinlichen Erlebnis des Postmeisters wieder aufgegriffen.
»Ist vielleicht ein Telegramm für mich gekommen?«
»Ja.«
»Warum hast du es mir nicht gegeben?«
»Du sollst noch nicht arbeiten, das ist noch zu früh. Du mußt dich hinlegen und ausruhen.«
»Möglicherweise betrifft es nicht die Arbeit.«
Sie gab es mir, und ich sah, daß es aufgebrochen worden war. Das Telegramm lautete: »Benötigen dringend 400 Worte Situationsschilderung über Auswirkung Abreise De Lattres auf militärische politische Lage.«
»Doch«, sagte ich. »Es betrifft die Arbeit. Weshalb hast du es aufgemacht?«
»Ich dachte, es käme von deiner Frau. Ich hoffte, es wäre eine gute Nachricht drin.«
»Und wer hat es dir übersetzt?«
»Ich zeigte es meiner Schwester.«
»Und wenn es eine schlechte Nachricht gewesen wäre, hättest du mich verlassen, Phuong?«
Beruhigend streichelte sie mir die Brust; sie erkannte nicht, daß ich diesmal auf Worte wartete, mochten sie noch so unwahr sein. »Möchtest du eine Pfeife haben? Es ist ein Brief für dich gekommen. Ich denke, er ist vielleicht von ihr.«
»Hast du den auch aufgemacht?«
»Ich mache deine Briefe nicht auf. Telegramme sind öffentlich. Die Beamten lesen sie.«
Dieses Kuvert lag zwischen den Seidenschals. Sie holte es behutsam hervor und legte es aufs Bett. Ich erkannte die Handschrift. »Wenn es eine schlechte Nachricht ist, was wirst du …« Ich wußte sehr wohl, daß der Brief nur Schlimmes enthalten konnte. Ein Telegramm hätte einen spontanen Akt der Großzügigkeit bedeuten können; ein Brief konnte nur Erklärungen, Rechtfertigungen enthalten … Also brach ich meine Frage ab, denn es ist unfair, ein Versprechen abzufordern, das der andere nicht halten kann.
»Wovor fürchtest du dich?« fragte Phuong, und ich dachte: Ich fürchte mich vor der Einsamkeit, vor dem Presseklub und einem öden Zimmer in einer Pension, ich fürchte mich vor Pyle. –
»Bitte, gib mir einen Brandy und Soda«, sagte ich. Ich blickte auf den Anfang des Briefs, »Lieber Thomas!«, und auf das Ende, »Deine Helen«, und wartete auf den Brandy.
»Ist er von ihr}«.
»Ja.« Bevor ich zu lesen begann, fragte ich mich, ob ich am Ende Phuong belügen oder ihr die Wahrheit sagen sollte.
»Lieber Thomas!
Dein Brief und die Nachricht, daß Du nicht allein bist, überraschten mich nicht. Du bist nicht der Mann, der es lange allein aushält. Die Frauen bleiben an Dir hängen wie der Staub an Deinem Rock. Vielleicht wäre ich imstande, mehr Verständnis für Deine Lage aufzubringen, wenn ich nicht das Empfinden hätte, daß Du Dich bei Deiner Rückkehr nach London sehr schnell trösten wirst. Du wirst es mir wahrscheinlich nicht glauben, aber was mich innehalten läßt und daran hindert, Dir ein klares Nein zu telegrafieren, ist der Gedanke an die arme Frau. Wir neigen eben viel mehr als Du dazu, unser Herz zu verlieren.«
Ich nahm einen Schluck Brandy. Ich hatte nicht gedacht, wie sehr die Wunden der Liebe durch viele Jahre offenbleiben. Unbekümmert – ich hatte meine Worte offenbar nicht sorgfältig genug gewählt – hatte ich die ihren wieder zum Bluten gebracht. Wer konnte ihr einen Vorwurf daraus machen, daß sie Vergeltung übte, indem sie an meinen Narben rührte. Wenn wir unglücklich sind, verletzen wir.
»Ist es schlimm?« fragte Phuong.
»Ein bißchen hart«, sagte ich. »Aber sie hat das Recht dazu …« Ich las weiter:
»Ich glaubte immer, Du liebtest Anne mehr als uns alle, bis Du Deine Sachen packtest und gingst. Jetzt scheinst Du wieder die Absicht zu haben, eine Frau zu verlassen, weil ich Deinem Brief entnehme, daß Du nicht wirklich eine ›günstige‹ Antwort erwartest. ›Ich werde mein möglichstes
Weitere Kostenlose Bücher