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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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die übersprungenen Zeilen enthielten Mitteilungen über das Wetter und über eine alte Tante von mir, dich ich sehr gern hatte.
    Ich besaß keinen Grund zur Klage, und ich hatte auch keine andere Antwort erwartet. Es steckten viele Wahrheiten darin. Mein einziger Wunsch wäre gewesen, daß sie nicht in so ausführlicher Weise laut gedacht hätte, wenn diese Gedanken sie selbst genauso schmerzten wie mich.
    »Sie sagt also nein?«
    Fast ohne Zögern sagte ich: »Sie hat sich noch nicht entschieden. Es besteht noch Hoffnung.«
    Phuong lachte: »Du redest von Hoffnung und machst dabei ein so langes Gesicht.« Sie lag zu meinen Füßen wie ein Hund auf dem steinernen Sargdeckel eines Kreuzfahrers und knetete das Opium, und ich überlegte, was ich Pyle sagen sollte. Nachdem ich vier Pfeifen geraucht hatte, fühlte ich mich gegen die Zukunft besser gewappnet und erzählte Phuong, daß guter Grund zur Hoffnung bestand – meine Frau habe vor, einen Rechtsanwalt zu Rate zu ziehen. Jeden Tag könne das Telegramm eintreffen, das mir die Freiheit schenken werde.
    »Es würde nicht so viel ausmachen. Du könntest ja Geld auf meinen Namen überschreiben lassen«, sagte sie, und ich konnte die Schwester aus ihr reden hören.
    »Ich besitze keine Ersparnisse«, sagte ich. »Pyle kann ich nicht überbieten.«
    »Mach dir keine Sorgen. Wer weiß, was kommt. Es gibt immer Mittel und Wege«, meinte sie. »Meine Schwester sagt, du könntest zum Beispiel eine Lebensversicherung abschließen.« Ich sagte mir, wie realistisch es von ihr gedacht war, die Bedeutung des Geldes nicht zu schmälern und nicht großartige und bindende Liebeserklärungen zu machen. Ich fragte mich, wie Pyle auf die Dauer diesen harten Kern ihres Wesens ertragen würde, denn Pyle war sehr romantisch; allerdings würde er eine beträchtliche Summe auf sie übertragen, und die Härte mochte erschlaffen wie ein unbetätigter Muskel, wenn für sie keine Notwendigkeit mehr bestand. Die Reichen sind doppelt im Vorteil.
    An jenem Abend erstand Phuong vor Ladenschluß in der Rue Catinat drei weitere Seidenschals. Auf dem Bett sitzend, führte sie sie mir vor und bejubelte die leuchtenden Farben. Mit ihrer singenden Stimme füllte sie eine Leere aus. Dann faltete sie die Tücher sorgsam zusammen und legte sie zu dem Dutzend anderer in die Lade: Es sah aus, als ob sie den Grundstein zu einem bescheidenen Vermögen legte. Und ich legte den verrückten Grundstein zu dem meinen, indem ich noch in derselben Nacht mit der unzuverlässigen Klarheit und Voraussicht, die das Opium verleiht, einen Brief an Pyle verfaßte. Ich schrieb folgende Zeilen – erst neulich fand ich sie wieder; das Blatt steckte in York Hardings Werk »Die Rolle des Westens‹. Er muß das Buch gelesen haben, als mein Brief ankam. Vielleicht hatte er ihn als Lesezeichen benützt und dann nicht mehr weitergelesen.
    »Lieber Pyle«, schrieb ich und war zum ersten und letztenmal versucht, »Lieber Alden« zu schreiben, denn eigentlich war dies ein Dankschreiben von einiger Wichtigkeit, und es unterschied sich von anderen Briefen ähnlicher Art nur insofern, als es eine Lüge enthielt:
    »Lieber Pyle, ich wollte Ihnen schon vom Lazarett aus schreiben und mich für alles bedanken, was Sie in jener Nacht für mich taten. Ohne Zweifel bewahrten Sie mich vor einem recht ungemütlichen Ende. Ich kann mich jetzt mit Hilfe eines Stocks wieder bewegen – anscheinend brach ich gerade an der richtigen Stelle entzwei, und das Alter hat meine Knochen noch nicht erreicht und sie spröde gemacht. Wir müssen in nächster Zeit einmal zusammen ausgehen und gehörig feiern.« (Bei diesem Wort blieb mir die Feder stecken und nahm dann wie eine Ameise, die auf ein Hindernis stößt, eine andere Richtung, um es zu umgehen.) »Ich habe noch etwas anderes zu feiern und weiß, daß Sie sich darüber freuen werden, denn Sie haben immer wieder betont, wie sehr uns beiden Phuongs Glück am Herzen liegt. Bei meiner Rückkehr wartete ein Brief meiner Frau auf mich. Sie hat so gut wie zugesagt, sich von mir scheiden zu lassen. Sie brauchen sich also um Phuong nicht mehr zu sorgen« – es war ein grausamer Satz, aber die Grausamkeit wurde mir erst bewußt, als ich den Brief noch einmal durchlas, und dann war es für eine Änderung zu spät. Hätte ich diese Worte durchstreichen wollen, dann wäre es besser gewesen, den ganzen Brief zu zerreißen.
    »Welcher Schal gefällt dir am besten?« fragte Phuong. »Mir der gelbe.«
    »Ja, der

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