Der stille Amerikaner
Dominguez selbst saß meist kerzengerade aufgerichtet und mit untergeschlagenen Beinen im Bett, so daß man weniger den Eindruck hatte, einen Kranken zu besuchen, als von einem Radscha oder Priester empfangen zu werden. Mitunter war sein Fieber so hoch, daß ihm der Schweiß über das Gesicht rann, dennoch verlor er nie sein klares Denkvermögen. Es war, als ob seine Krankheit den Körper eines anderen befallen hätte. Seine Hauswirtin stellte ihm einen Krug mit frischem Limonensaft ans Bett, ich sah ihn aber niemals davon trinken – vielleicht, weil es ein Eingeständnis gewesen wäre, daß er es war, der Durst empfand, und daß sein eigener Körper unter der Krankheit litt.
Von all den Abenden, an denen ich ihn damals besuchte, ist mir einer besonders im Gedächtnis geblieben. Aus Angst, meine Frage könne wie ein Vorwurf klingen, hatte ich es aufgegeben, mich nach seinem Befinden zu erkundigen, und immer war er es, der mit großer Besorgnis nach meiner Gesundheit fragte und sich für die vielen Treppen entschuldigte, die ich zu ihm hinaufsteigen mußte. Dann sagte er: »Ich möchte, daß Sie mit einem meiner Freunde zusammentreffen. Er hat eine Nachricht, die Sie sich anhören sollten.«
»Ja?«
»Ich habe seinen Namen aufgeschrieben, weil ich weiß, daß Sie sich chinesische Namen nur schwer merken können. Wir dürfen ihn natürlich nicht verwenden. Der Mann hat ein Lagerhaus für Altmetall am Quai Mytho.«
»Wichtige Sache?«
»Könnte sein.«
»Können Sie mir nicht eine Andeutung machen?«
»Es wäre mir lieber, wenn Sie die Sache von ihm selbst erführen. Es ist etwas Sonderbares daran, das ich nicht verstehe.« Der Schweiß floß ihm in Strömen übers Gesicht, aber er ließ ihn einfach rinnen, als ob die Tropfen lebendig und heilig wären – es steckte genug von einem Hindu in ihm, daß er niemals auch nur das Leben einer Fliege in Gefahr gebracht hätte. Er sagte: »Wieviel wissen Sie über Ihren Freund Pyle?«
»Nicht sehr viel. Unsere Wege kreuzen sich, das ist alles. Seit Tanyin habe ich ihn nicht mehr gesehen.«
»Was arbeitet er?«
»Er ist bei der Wirtschaftsmission, doch das umfaßt eine große Anzahl von Sünden. Ich glaube, er interessiert sich für die einheimischen Industrien – vermutlich mit amerikanischen Geschäftsverbindungen. Mir mißfällt die Art, wie sie die Franzosen Kriegführen lassen und sich unterdessen im Geschäft hier breitmachen.«
»Ich habe ihn neulich auf einer Party sprechen gehört, die die Gesandtschaft für amerikanische Kongreßmitglieder gab. Man hatte ihn dazu bestimmt, den Besuchern die hiesige Situation zu erläutern.«
»Gott sei dem Kongreß gnädig«, sagte ich. »Der Mann ist ja noch keine sechs Monate im Lande.«
»Er sprach über die alten Kolonialmächte – England und Frankreich, und daß keine dieser beiden Nationen damit rechnen könne, das Vertrauen der Asiaten zu gewinnen. Eben hier trete Amerika mit reinen Händen auf den Plan.«
»Siehe Honolulu, Puerto Rico, Neu-Mexiko«, meinte ich.
»Dann stellte einer der Gäste die übliche Frage, ob die hiesige Regierung Aussicht hätte, jemals die Vietminh zu besiegen, und er antwortete, daß eine Dritte Kraft dies schaffen könnte. Stets lasse sich eine solche Dritte Kraft finden, die frei sei vom Kommunismus und dem Makel des Kolonialsystems – eine nationale Demokratie nannte er sie, man müsse nur einen geeigneten Führer finden und ihn vor den alten Kolonialmächten schützen.«
»Das alles steht bei York Harding«, sagte ich. »Er las seine Bücher, bevor er hierherkam. Schon in der ersten Woche sprach er darüber und hat seither nichts dazugelernt.«
»Möglicherweise hat er seinen Führer inzwischen gefunden«, bemerkte Dominguez.
»Würde das etwas ausmachen?«
»Das weiß ich nicht. Ich weiß nicht, was er treibt. Aber gehen Sie hin und sprechen Sie mit meinem Freund am Quai Mytho.«
Ich fuhr nach Hause, um für Phuong in der Rue Catinat eine kurze Nachricht zu hinterlassen, und dann zum Kai hinaus und am Hafen vorbei. Eben ging die Sonne unter. Am Quai Mytho standen Tische und Stühle im Freien, neben den Dampfern und den grauen Kriegsschiffen, und in den kleinen mobilen Küchen brannte das Feuer und brodelte es. Unter den Alleebäumen des Boulevard de la Somme gingen die Friseure geschäftig ihrer Arbeit nach, und an den Hauswänden hockten die Wahrsager mit ihren schmutzigen Spielkarten. In Cholon war man in einer anderen Stadt, wo mit dem Schwinden des Tageslichts die
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