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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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Taschenlampe leuchtete mir ins Gesicht.
    »Wir haben’s geschafft, Thomas«, sagte Pyle. Dessen entsinne ich mich noch; aber an die Einzelheiten, die Pyle später anderen Leuten schilderte, kann ich mich nicht erinnern: daß ich mit der Hand in die falsche Richtung gewiesen und gesagt hätte, im Turm sei ein Mann, und sie sollten sich um ihn kümmern. Jedenfalls hätte ich die sentimentale Begründung, die Pyle für mein Verhalten fand, nicht gegeben. Ich kenne mich, und ich kenne das Maß meiner Selbstsucht. Ich kann mich nicht behaglich fühlen (und mich behaglich zu fühlen, ist mein dringlichster Wunsch), wenn ein anderer Schmerzen leidet, sichtbar, hörbar oder fühlbar. Von arglosen Leuten wird dies bisweilen irrtümlich für Selbstlosigkeit gehalten, während ich doch nur einen kleinen Vorteil – in diesem Fall die sofortige Versorgung meiner Wunde – zugunsten eines viel größeren opfere, nämlich eines Seelenfriedens, in dem ich nur an mich selbst zu denken brauche.
    Sie kamen zurück, um mir zu sagen, daß der Bursche tot war, und ich war glücklich – ich mußte nicht einmal große Schmerzen leiden, nachdem sich die Injektionsnadel mit dem Morphium in das verwundete Bein hineingebohrt hatte.

Drittes Kapitel
     
1
     
    Langsam stieg ich die Treppe zu meiner Wohnung in der Rue Catinat hinauf; auf dem ersten Stiegenabsatz hielt ich an, um mich auszuruhen. Die alten Frauen schwatzten, wie sie es immer getan hatten, und hockten auf dem Boden vor dem Eingang zum Pissoir; sie trugen das Schicksal in den Runzeln ihrer Gesichter verzeichnet wie andere in den Linien der Hand. Sie verstummten, als ich an ihnen vorbeikam, und ich fragte mich, was sie mir, wäre ich ihrer Sprache mächtig gewesen, wohl erzählt hätten über das, was sich hier zugetragen hatte, während ich im Lazarett der Fremdenlegion an der Straße nach Tanyin war. Irgendwo, im Wachtturm oder in den Reisfeldern, hatte ich meine Schlüssel verloren, aber ich hatte Phuong eine Nachricht gesandt, die sie erhalten haben mußte, wenn sie noch da war. Dieses Wenn war das Maß meiner Ungewißheit. Ich hatte im Spital keinen Brief von ihr erhalten; aber sie schrieb Französisch nur mit Schwierigkeiten, und Vietnamesisch konnte ich wiederum nicht lesen. Ich klopfte an die Tür. Sie öffnete sich sofort, und alles schien wie früher zu sein. Ich betrachtete Phuong forschend, während sie sich nach meinem Befinden erkundigte, das geschiente Bein befühlte und mir ihre Schulter als Stütze bot, als ob man sich ohne Gefahr an eine so junge Pflanze lehnen könnte. Ich sagte: »Ich bin froh, wieder daheim zu sein.«
    Sie sagte, daß sie mich sehr vermißt hätte, und natürlich wollte ich genau das hören: Wie ein Kuli, der Fragen beantwortet, sagte sie mir immer das, was ich hören wollte, es sei denn, sie verriet sich zufällig. Jetzt erwartete ich den Zufall.
    »Hast du dich amüsiert?« fragte ich.
    »Ach, ich habe öfter meine Schwester besucht. Sie hat bei den Amerikanern eine Stelle bekommen.«
    »So, hat sie das? Hat Pyle nachgeholfen?«
    »Nein, nicht Pyle – Joe.«
    »Wer ist Joe?«
    »Du kennst ihn – der Handelsattaché.«
    »Ach, natürlich, Joe.«
    Er war ein Mensch, den man immer vergaß. Bis heute kann ich ihn nicht beschreiben. Ich erinnere mich nur an seine Beleibtheit, seine gepuderten glattrasierten Wangen und sein dröhnendes Lachen; seine ganze Persönlichkeit entschlüpft mir, bis auf das eine, daß er Joe hieß. Es gibt Männer, deren Namen immer abgekürzt werden.
    Mit Phuongs Hilfe legte ich mich aufs Bett und streckte mich aus. »Im Kino gewesen?«
    »Ja. Im ›Catinat‹ läuft ein sehr lustiger Film«, und sogleich begann sie mir den Inhalt in allen Einzelheiten zu erzählen, während ich mich im Zimmer nach dem weißen Umschlag eines Telegramms umsah. Solange ich nicht danach fragte, konnte ich mir einreden, daß Phuong vergessen hatte, es zu erwähnen. Vielleicht lag es drüben auf dem Tisch neben der Schreibmaschine oder auf dem Schrank, oder hatte sie es sicherheitshalber in die Lade gelegt, wo sie ihre Sammlung von Seidenschals aufbewahrte?
    »Der Postmeister – ich glaube, es war der Postmeister; es kann aber auch der Bürgermeister gewesen sein – verfolgte sie bis nach Hause, und er borgte sich eine Leiter vom Bäcker und stieg zu Corinnes Fenster hinauf, die war aber mit Francois ins Nebenzimmer gegangen. Weißt du, er hörte nicht, daß sich Madame Bompierre näherte; sie kam ins Zimmer, sah ihn auf der Leiter und

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