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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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Wozu?«
    »Warten Sie noch etwas«, sagte Mr. Heng.
    Ein paar Müßiggänger begannen sich dem Brunnen zu nähern, aus dem ein Rad wie eine Boje herausragte, als wollte es Schiffe vor versunkenen Wracks warnen: Ein Polizist überquerte rufend und gestikulierend die Straße.
    »Sehen wir uns die Geschichte an«, sagte ich.
    »Lieber nicht«, erwiderte Mr. Heng mit einem Blick auf seine Armbanduhr. Die Zeiger wiesen auf vier Minuten nach elf.
    »Ihre Uhr geht vor«, sagte ich.
    »Das tut sie immer.« Und in diesem Augenblick ging der Brunnen in die Luft. Ein Stück der Randverzierung flog durch eine Fensterscheibe, und das Glas rieselte wie Wasser in einem glitzernden Schauer herab. Niemand war verletzt. Wir schüttelten uns die Wassertropfen und Glassplitter vom Anzug. Auf dem Straßenpflaster drehte sich surrend wie ein Kreisel ein Rad, dann begann es zu torkeln und fiel um. »Es muß Punkt elf gewesen sein«, sagte Mr. Heng.
    »Was im Himmel …?«
    »Ich dachte, das würde Sie interessieren«, sagte Mr. Heng. »Hoffentlich hat es Sie interessiert.«
    »Haben Sie Lust zu einem Drink?«
    »Danke. Leider keine Zeit. Ich muß zu Mr. Chou zurück, aber vorher lassen Sie sich noch etwas zeigen.« Er führte mich zu dem Abstellplatz für Fahrräder und sperrte das Schloß seines eigenen Rads auf. »Sehen Sie genau hin!«
    »Marke Raleigh«, stellte ich fest.
    »Nein, die Pumpe müssen Sie sich ansehen. Erinnert sie Sie nicht an irgend etwas?« Er lächelte herablassend, als er mein verblüfftes Gesicht sah, schwang sich aufs Rad und fuhr davon. Einmal drehte er sich um und winkte mit der Hand, während er in Richtung Cholon und dem Lagerhaus voll Eisengerümpel radelte. In der Sureté, wo ich um Auskunft über diesen merkwürdigen Vorfall bat, wurde mir klar, was er gemeint hatte. Die Preßform, die ich in seinem Schuppen gesehen hatte, war der Model für eine halbe Fahrradpumpe gewesen. An diesem Tag hatten überall in Saigon harmlos scheinende Fahrradpumpen Plastikbomben enthalten und waren Schlag elf in die Luft gegangen, außer an jenen Punkten der Stadt, wo die Polizei auf Grund von Informationen, die, wie ich vermute, von Mr. Heng stammten, der Explosion noch zuvorkommen konnte. Das ganze Unternehmen war völlig belanglos – zehn Explosionen, sechs Leichtverwundete und weiß Gott wie viele beschädigte Fahrräder. Meine Kollegen – ausgenommen lediglich der Reporter des ›Extrème Orients der die Sache als »unerhörtes Gewaltverbrechen« bezeichnete – wußten genau, daß sie ihre Berichte nur dann in ihren Zeitungen unterbringen konnten, wenn sie sich über die Geschichte lustig machten. »Fahrradbomben« ergab eine gute Schlagzeile. Alle machten die Kommunisten verantwortlich. Ich war der einzige, der schrieb, daß diese Bomben eine Demonstration des General Thé gewesen seien, und meine Meldung wurde von der Redaktion geändert. Der General war eine unbekannte Größe, und man konnte nicht mit einer Erklärung, wer er sei, Platz verschwenden. Durch Dominguez sandte ich an Mr. Heng ein paar Worte des Bedauerns – ich hatte mein möglichstes getan. Mr. Heng schickte mir mündlich eine höfliche Antwort. Damals gewann ich den Eindruck, daß er – oder sein Komitee der Vietminh – überempfindlich gewesen war; niemand machte aus der Sache den Kommunisten einen ernsthaften Vorwurf. Im Gegenteil, wenn irgend etwas dazu imstande gewesen wäre, hätte ihnen gerade dieser Zwischenfall den Ruf eingetragen, daß sie Sinn für Humor besaßen. »Was wird ihnen als nächstes einfallen?« sagten die Leute auf Partys, und auch für mich wurde die Absurdität der ganzen Sache durch das Rad symbolisiert, das sich mitten auf dem Boulevard wie ein Kreisel fröhlich gedreht hatte. Ich hatte Pyle gegenüber mit keinem Wort erwähnt, was ich von seiner Verbindung mit dem General gehört hatte. Mochte er harmlos mit seinem Kunststoff spielen: Das würde ihn vielleicht von Phuong ablenken. Nichtsdestotrotz besuchte ich eines Abends, weil ich zufällig in der Nähe war und nichts Besseres zu tun wußte, Mr. Muois Garage.
    Sie war ein kleines, unsauberes Gebäude am Boulevard de la Somme, gar nicht unähnlich einem Gerümpellager. In der Mitte war ein Auto aufgebockt; die Motorhaube war hochgeklappt und glich dem weitgeöffneten Rachen eines prähistorischen Tiers, dessen Gipsabguß in einem Provinzmuseum unbeachtet verstaubt. Ich glaube nicht, daß sich noch irgend jemand an diesen Wagen erinnerte. Der Boden der Werkstatt war

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