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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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rings von Bergen umgeben. Jedesmal mußten wir dieselbe Anflugstrecke nehmen, durch denselben Einschnitt einfliegen. Es gab keine Möglichkeit, den Angriff zu variieren. Als wir zum vierzehnten Mal hinunterbrausten, dachte ich, nunmehr befreit von der Angst vor Erniedrigung: Sie brauchen bloß ein Maschinengewehr in Stellung zu bringen. Erneut hoben wir unsere Nase in die sichere Luft – vielleicht hatten sie da unten nicht einmal ein Maschinengewehr. Die vierzig Minuten unseres Einsatzes waren mir endlos vorgekommen, aber sie waren immerhin frei von der Unannehmlichkeit privaten Nachdenkens. Die Sonne ging gerade unter, als wir uns heimwärts wandten: Der Augenblick des Geographen war vorüber, der Schwarze Fluß war nicht mehr schwarz, und der Rote Fluß war nur noch golden.
    Wieder ging es steil hinab, fort von dem knorrigen und zerklüfteten Wald und gegen den Fluß hinaus; über den vernachlässigten Reisfeldern gingen wir in Horizontalflug über, zielten dann gleich einer Gewehrkugel auf einen kleinen vereinzelten Sampan, auf dem gelben Strom. Aus der Bordkanone kam ein einziger, kurzer Feuerstoß von Leuchtspurmunition, und das Wohnboot stob in einem Funkenregen auseinander: Wir warteten nicht einmal so lange, um zu sehen, ob unsere Opfer ums Überleben kämpften, sondern stiegen auf und machten uns auf den Heimweg. Wieder dachte ich, wie ich schon einmal in Phat Diem beim Anblick des toten Kindes gedacht hatte: Ich hasse den Krieg. – Unsere plötzliche, vom Zufall gelenkte Wahl einer Beute hatte etwas so Erschütterndes an sich – wir waren wie von ungefähr vorbeigekommen, ein einziger Feuerstoß hatte genügt, niemand hatte unser Feuer erwidert, wir verschwanden wieder, unser bescheidener Beitrag zu den Toten dieser Welt war geleistet.
    Ich setzte meine Kopfhörer auf, weil Hauptmann Trouin mit mir sprechen wollte. Er sagte: »Wir machen einen kleinen Abstecher. Der Sonnenuntergang in Calcaire ist unvergleichlich schön. Sie dürfen ihn nicht versäumen«, fügte er zuvorkommend hinzu, wie ein Gastgeber, der seinem Besucher die Vorzüge seines Landbesitzes zeigt, und wir verfolgten hundert Meilen weit die sinkende Sonne über der Baie d’Along. Das behelmte, marsmenschenähnliche Gesicht blickte voll weher Sehnsucht hinaus, auf die goldenen Wäldchen zwischen den mächtigen Höckern und Kuppen aus porösem Kalkstein hinunter und die Wunden des Mordes hörten zu bluten auf.

5
     
    An diesem Abend bestand Hauptmann Trouin darauf, im Opiumhaus mein Gastgeber zu sein, obwohl er selbst nicht rauchen wollte. Er liebe zwar den Duft, erklärte er, er liebe das Gefühl der Ruhe am Ende eines Tages, aber mit Rücksicht auf seinen Beruf dürfe die Entspannung nicht weiter gehen. Es gebe Offiziere, die Opium rauchten, doch das seien Angehörige der Armee – er müsse den nötigen Schlaf haben. Wir lagen in einer kleinen Nische in einer langen Reihe ähnlicher Abteile, die jenen im Schlafsaal einer Schule glichen, und der chinesische Besitzer des Lokals bereitete meine Pfeifen vor. Ich hatte nicht mehr geraucht, seit Phuong mich verlassen hatte. Auf der anderen Seite lag eingerollt eine Eurasierin, Métisse nennen die Franzosen sie, mit langen, schöngeformten Beinen, und las nach dem Rauchen nun in einer Frauenzeitschrift auf Hochglanzpapier. In der Nische neben ihr hielten zwei Chinesen mittleren Alters eine geschäftliche Besprechung ab; sie schlürften Tee, die Pfeifen hatten sie beiseite gelegt.
    Ich sagte: »Dieser Sampan – heute abend –, richtete er irgendeinen Schaden an?«
    »Wer weiß?« entgegnete Trouin. »Jedenfalls haben wir Befehl, in diesem Abschnitt des Flusses auf alles zu schießen, was in Sicht kommt.«
    Ich rauchte meine erste Pfeife. Ich versuchte, nicht an all die Pfeifen zu denken, die ich daheim in Saigon geraucht hatte. Trouin sagte: »Die heutige Sache – die ist für einen Mann wie mich nicht das Ärgste. Über dem Dorf hätten sie uns abschießen können. Unser Risiko war genauso groß wie das ihre. Was ich hasse, sind Napalmbomben. Aus tausend Meter Höhe, in völliger Sicherheit.« Er machte eine verzweifelte Handbewegung. »Man sieht, wie der Wald Feuer fängt. Weiß der Himmel, was man am Boden selbst sieht. Die armen Teufel verbrennen bei lebendigem Leib, die Flammen rinnen wie Wasser an ihnen hinab. Sie sind durchnäßt von Feuer.« Voll Zorn gegen eine ganze Welt, die nicht verstand, sagte er: »Ich kämpfe nicht in einem Kolonialkrieg. Glauben Sie, ich würde diese Dinge

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