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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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für die Plantagenbesitzer von Terre Rouge tun? Lieber ließe ich mich vors Kriegsgericht stellen. Wir führen alle eure Kriege, die Verantwortung aber überlaßt ihr uns!«
    »Zum Beispiel für diesen Sampan«, sagte ich.
    »Ja, auch für diesen Sampan.« Er beobachtete mich, wie ich mich in Erwartung der zweiten Pfeife ausstreckte. »Ich beneide Sie um Ihre Möglichkeit der Flucht.«
    »Sie wissen nicht, wovor ich auf der Flucht bin. Es ist nicht der Krieg. Der geht mich nichts an. Ich bin nicht daran beteiligt.«
    »Sie werden es noch alle sein. Eines Tages.«
    »Ich nicht.«
    »Sie hinken immer noch.«
    »Die Vietminh hatten das Recht, auf mich zu schießen. Aber das taten sie nicht einmal. Sie sprengten einen Turm in die Luft. Man sollte Zerstörungstrupps immer aus dem Weg gehen. Selbst in Piccadilly.«
    »Eines Tages wird etwas geschehen. Sie werden Partei ergreifen.«
    »Nein, ich gehe nach England zurück.«
    »Die Fotografie, die Sie mir einmal zeigten …«
    »Ach, die habe ich zerrissen. Sie hat mich verlassen.«
    »Das tut mir leid …«
    »So geht es nun mal. Man selbst verläßt Menschen, und dann wendet sich das Blatt. Es läßt mich fast an Gerechtigkeit glauben.«
    »Ich glaube daran. Als ich zum erstenmal eine Napalmbombe abwarf, dachte ich: Das ist das Dorf, in dem du geboren bist. Dort wohnt Monsieur Dubois, der alte Freund deines Vaters. Der Bäcker – als Kind hatte ich den Bäcker sehr ins Herz geschlossen – rennt dort unten in den Flammen, die ich abgeworfen habe. Die Männer der Vichy-Regierung bombardierten nicht ihr eigenes Land. Ich kam mir schlechter vor als sie.«
    »Trotzdem machen Sie weiter.«
    »Das sind so Stimmungen. Sie kommen nur beim Napalm. In der übrigen Zeit denke ich, daß ich Europa verteidige. Wissen Sie, die anderen – die tun auch etliche grauenhafte Dinge. Als sie 1946 aus Hanoi vertrieben wurden, ließen sie unter ihren eigenen Leuten – unter den Leuten, von denen sie annahmen, daß sie uns unterstützt hatten – entsetzliche Erinnerungsmale zurück. Im Leichenschauhaus lag eine junge Frau, der hatten sie nicht nur die Brüste weggeschnitten, nein, sie verstümmelten auch ihren Liebhaber und stopften ihr seinen …«
    »Deshalb will ich hier nicht hineingezogen werden.«
    »Das hat mit Vernunft oder Gerechtigkeit gar nichts zu tun. In einem Augenblick der Gemütserregung werden wir alle hineingezogen, und dann kommen wir nicht mehr heraus. Krieg und Liebe – die beiden sind immer miteinander verglichen worden.« Traurig blickte er in dem Schlafsaal zur Métisse hinüber, die in ihrem tiefen vorübergehenden Frieden nun ausgestreckt dalag. »Ich möchte es gar nicht anders haben«, sagte er. »Dort ist eine junge Frau, die schon durch die Eltern hineingezogen wurde – wie wird ihre Zukunft aussehen, wenn diese Hafenstadt fällt? Frankreich ist nur zur Hälfte ihre Heimat …«
    »Wird die Stadt fallen?«
    »Sie sind Journalist. Sie wissen besser als ich, daß wir nicht gewinnen können. Sie wissen, daß die Straße nach Hanoi Nacht für Nacht unterbrochen und vermint wird. Sie wissen, daß wir jedes Jahr einen ganzen Jahrgang von St. Cyr verlieren. 1950 wären wir um ein Haar geschlagen worden. De Lattre hat uns eine Gnadenfrist von zwei Jahren erwirkt – das ist alles. Doch wir sind Berufssoldaten: Wir müssen weiterkämpfen, bis uns die Politiker sagen, wir sollen aufhören. Wahrscheinlich werden sie sich eines Tages zusammensetzen und auf einen Frieden einigen, den wir von Anfang an hätten haben können, und damit all diese Jahre unsinnig erscheinen lassen.« Sein häßliches Gesicht, das mir vor dem Sturzflug zugezwinkert hatte, trug jetzt einen Ausdruck berufsmäßiger Brutalität – wie eine Faschingsmaske, aus deren Löchern zwei Kinderaugen hervorspähen. »Diesen Unsinn würden Sie nicht begreifen, Fowler. Sie sind nicht einer von uns.«
    »Es gibt andere Dinge im Leben, die die Jahre unsinnig erscheinen lassen.«
    In einer seltsam beschützenden Geste, als wäre er der Ältere, legte er mir die Hand aufs Knie. »Nehmen Sie sie mit nach Hause«, sagte er. »Das ist besser als eine Pfeife.«
    »Woher wissen Sie, daß sie mitkommen würde?«
    »Weil ich schon mit ihr geschlafen habe, und ebenso Leutnant Perrin. Fünfhundert Piaster.«
    »Teuer.«
    »Ich nehme an, sie würde auch um dreihundert mitgehen, aber unter den gegebenen Umständen mag man nicht handeln.«
    Doch sein Rat erwies sich nicht als klug. Der Körper eines Mannes findet seine

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