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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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wäre ein Zeichen der Achtung. Meine Eltern würden dabei sein – Phuong würde gewissermaßen in die Familie aufgenommen werden. Das wäre wichtig im Hinblick auf die Vergangenheit.«
    »Die Vergangenheit?«
    »Sie wissen schon, was ich meine. Ich möchte sie nicht mit einem Stigma behaftet dort zurücklassen …«
    »Würden Sie sie zurücklassen?«
    »Ich denke schon. Meine Mutter ist eine wunderbare Frau – sie würde sie überall einführen und bekanntmachen, wissen Sie, sie sozusagen in unsere Gesellschaft einpassen. Sie würde ihr helfen, für mich ein Heim vorzubereiten.«
    Ich war mir nicht im klaren, ob ich Phuong bedauern sollte oder nicht – sie hatte sich schon so auf die Wolkenkratzer und die Freiheitsstatue gefreut; aber sie hätte so wenig Ahnung, was sie mit sich bringen würden: Professor Pyle und Mrs. Pyle, die Damenklubs; würde man sie Canasta spielen lehren? Ich dachte daran, wie sie an jenem Abend im »Grand Monde« in ihrem weißen Kleid ausgesehen, mit welch erlesener Grazie sich sich auf ihren achtzehn Jahre alten Füßen bewegt hatte, und ich dachte daran, wie sie vor einem Monat in den Fleischerläden am Boulevard de la Somme um den Braten gefeilscht hatte. Ob ihr wohl die hellen, blitzsauberen Lebensmittelgeschäfte von New England gefallen würden, wo selbst der Sellerie in Zellophan verpackt war? Vielleicht. Ich konnte es nicht sagen. Seltsamerweise ertappte ich mich dabei, daß ich zu Pyle nun das sagte, was er vor einem Monat hätte sagen können: »Seien Sie rücksichtsvoll zu ihr, Pyle. Suchen Sie nichts zu erzwingen. Sie ist ebenso verwundbar wie Sie oder ich.«
    »Selbstverständlich, Thomas. Selbstverständlich.«
    »Sie sieht so zart und zerbrechlich aus, so ganz anders als unsere Frauen, aber betrachten Sie sie nicht als – als ein Ornament.«
    »Es ist komisch, Thomas, wie anders sich die Dinge oft entwickeln. Ich hatte diese Unterredung gefürchtet. Ich dachte, Sie würden grob werden.«
    »Droben im Norden hatte ich Zeit zum Nachdenken. Dort war eine Frau … Vielleicht sah ich dort, was Sie in jenem Bordell sahen. Es ist gut, daß Phuong zu Ihnen ging. Womöglich hätte ich sie eines Tages mit einem Menschen wie Granger zurückgelassen – als seine Puppe.«
    »Und wir können Freunde bleiben, Thomas?«
    »Ja, natürlich. Nur möchte ich Phuong lieber nicht mehr sehen. Und hier ist ohnehin mehr als genug von ihr vorhanden. Ich muß mir eine andere Wohnung suchen – sobald ich dazu Zeit finde.«
    Er entwirrte die überkreuzten Beine und stand auf. »Ich bin so froh, Thomas. Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie froh ich bin. Ich weiß, ich habe das schon einmal gesagt, aber ich wünschte wahrhaftig, es hätte nicht ausgerechnet Sie getroffen.«
    »Und ich bin froh, daß Sie es sind, Pyle.« Die Unterredung war anders verlaufen, als ich vorgehabt hatte: Auf einer tieferliegenden Ebene, unter den vom Zorn diktierten oberflächlichen Absichten, mußte sich der wahre Aktionsplan geformt haben. Während der ganzen Zeit, in der mich seine Einfalt erbittert hatte, war in mir gleichsam ein Richter damit beschäftigt gewesen, den Fall zu seinen Gunsten nochmals zusammenzufassen, hatte er Pyles Idealismus, seine unausgebackenen Gedanken, die den Büchern York Hardings entsprangen, mit meinem Zynismus verglichen. Oh, was die Tatsachen anlangte, hatte ich recht, aber hatte nicht auch er recht damit, jung und im Irrtum zu sein, und war er für ein Mädchen nicht vielleicht ein besserer Gefährte fürs Leben?
    Wir schüttelten einander flüchtig die Hand, ein unbestimmtes Angstgefühl aber veranlaßte mich, ihm bis zur Treppe zu folgen und von dort aus nachzurufen. Vielleicht sprach in diesem inneren Gerichtshof, wo die wirklichen Entscheidungen gefällt werden, neben dem Richter auch ein Prophet, denn ich sagte: »Pyle, vertrauen Sie York Harding nicht allzusehr.«
    »Harding!« Er starrte vom unteren Treppenabsatz zu mir herauf.
    »Wir sind die alten Kolonialmächte, Pyle, aber wir haben ein wenig von der Realität gelernt, haben gelernt, nicht mit Streichhölzern zu spielen. Diese Dritte Kraft – die stammt aus einem Buch, weiter nichts. General Thé ist nichts als ein Bandit mit ein paar tausend Anhängern: Er ist keine nationale Demokratie.«
    Es war, als hätte er die ganze Zeit durch einen Briefschlitz zu mir herausgespäht um zu sehen, wer vor der Tür stand, und nun, als er die Klappe herunterfallen ließ, den unerwünschten Eindringling ausgesperrt. Seine Augen waren nicht

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