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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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Begrenzung in den Taten, die er vollbringen kann, und der meine war durch die Erinnerung erstarrt. Was meine Hände in jener Nacht berührten, mochte schöner sein, als ich es gewohnt war, doch es ist nicht nur die Schönheit, die uns gefangennimmt. Sie verwendete das gleiche Parfum – und plötzlich, gerade im Augenblick des Eindringens, erwies sich der Geist jener anderen, die ich verloren hatte, als mächtiger denn dieser Körper, der sich meiner Lust darbot. Ich rückte weg und lag auf dem Rücken, während mein Begehren versiegte.
    »Entschuldige«, sagte ich und log: »Ich weiß nicht, was heute mit mir los ist.«
    Sie sagte sehr süß und voll Mißverständnis: »Mach dir nichts daraus. So was kommt vor. Es ist das Opium.«
    »Ja«, sagte ich, »das Opium.« Und ich wünschte von Herzen, es wäre so gewesen.

Zweites Kapitel
     
1
     
    Seltsam war es, zum erstenmal nach Saigon zurückzukehren, ohne daß mich jemand willkommen hieß. Am Flughafen wünschte ich, ich hätte dem Taxichauffeur einen anderen Bestimmungsort angeben können als die Rue Catinat. Ich dachte bei mir: Ist der Schmerz jetzt ein wenig geringer als bei meiner Abreise? Und ich suchte mir einzureden, daß es so war. Als ich den Treppenabsatz erreichte, sah ich, daß meine Wohnungstür offenstand, und eine unsinnige Hoffnung benahm mir den Atem. Sehr langsam näherte ich mich der Tür. Bis ich sie erreichte, würde die Hoffnung lebendig bleiben. Ich hörte einen Stuhl knarren, und als ich in die Tür trat, erblickte ich ein Paar Schuhe, aber es waren keine Damenschuhe. Ich ging schnell hinein, und fand Pyle vor, der unbeholfen sein Gewicht aus jenem Stuhl hob, den Phuong früher immer benützt hatte.
    Er sagte: »Hallo, Thomas.«
    »Hallo, Pyle. Wie sind Sie hier hereingekommen?«
    »Ich traf Dominguez. Er brachte gerade Ihre Post. Ich bat ihn, hierbleiben zu dürfen.«
    »Hat Phuong etwas vergessen?«
    »O nein, aber Joe sagte mir, Sie wären in der Gesandtschaft gewesen. Ich dachte mir, hier läßt es sich leichter reden.«
    »Worüber?«
    Er machte eine hilflose Geste, wie ein Junge, der bei einer Schulfeier eine Ansprache halten soll und die Worte der Erwachsenen nicht finden kann. »Sie sind fortgewesen?«
    »Ja. Und Sie?«
    »Ach, ich bin herumgereist.«
    »Spielen Sie immer noch mit Kunststoff?«
    Er grinste unglücklich und sagte: »Ihre Briefe liegen dort drüben.«
    Ein Blick genügte, um festzustellen, daß nichts darunter war, was mich jetzt hätte interessieren können: Ein Schreiben kam von meiner Redaktion in London, etliche andere sahen wie Rechnungen aus, und eines war von meiner Bank. »Wie geht’s Phuong?« sagte ich.
    Sein Gesicht begann unwillkürlich zu strahlen – wie eines jener elektrischen Spielzeuge, die auf einen bestimmten Laut reagieren. »Oh, glänzend«, sagte er, und dann preßte er die Lippen zusammen, als sei er zu weit gegangen.
    »Setzen Sie sich, Pyle«, sagte ich. »Entschuldigen Sie, daß ich mir rasch diesen Brief ansehe. Er kommt von meiner Redaktion.«
    Ich öffnete ihn. Wie ungelegen kann doch das Unerwartete kommen. Der Chefredakteur schrieb, daß er sich meinen letzten Brief durch den Kopf hatte gehen lassen, und daß er in Anbetracht der verworrenen Lage in Indochina, die durch den Tod General De Lattres und den Rückzug aus Hoa Binh entstanden sei, meinen Erwägungen beipflichtete. Er hatte vorläufig einen Auslandsredakteur eingesetzt und wollte, daß ich noch mindestens ein Jahr in Indochina blieb. »Wir werden Ihnen Ihren Platz warmhalten«, versicherte er mir in völliger Verkennung der Lage. Er glaubte, mir lag etwas an dem Job und an der Zeitung.
    Ich setzte mich Pyle gegenüber und las noch einmal den Brief, der zu spät gekommen war. Für einen Augenblick war ich in gehobener Stimmung gewesen, wie im Moment des Aufwachens, ehe die Erinnerungen wiederkehrten.
    »Schlechte Nachrichten?« fragte Pyle.
    »Nein.« Ich sagte mir, daß es ohnehin keinen Unterschied gemacht hätte: Ein Aufschub von einem Jahr konnte gegen einen Ehekontrakt nicht aufkommen.
    »Sind Sie schon verheiratet?« fragte ich.
    »Nein.« Er errötete – er hatte eine große Gewandtheit im Erröten. »Ich hoffe nämlich, eine Sondergenehmigung zu bekommen. Dann könnten wir zu Hause heiraten – in ordentlicher Form.«
    »Ist es ordentlicher, wenn es zu Hause geschieht?«
    »Nun, ich habe mir gedacht – es ist so schwer, Ihnen diese Dinge zu sagen, Thomas, Sie sind so verdammt zynisch, aber ich habe mir gedacht, es

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