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Der stille Amerikaner

Der stille Amerikaner

Titel: Der stille Amerikaner Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Graham Greene
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zu sehen. »Ich weiß nicht, was Sie meinen, Thomas.«
    »Diese Fahrradbomben. Die waren ein netter Scherz, obwohl ein Mann dabei einen Fuß verlor. Aber Leuten wie General Thé kann man nicht trauen, Pyle. Die werden den Osten bestimmt nicht vor dem Kommunismus retten. Wir kennen diese Sorte.«
    »Wir?«
    »Wir, die alten Kolonialisten.«
    »Ich dachte, Sie nehmen nicht Partei.«
    »Das tue ich auch nicht, Pyle, aber wenn in Ihrem Laden schon jemand etwas verpfuschen muß, dann überlassen Sie das lieber Joe. Fahren Sie heim mit Phuong. Vergessen Sie die Dritte Kraft.«
    »Ich schätze natürlich Ihre Ratschläge immer sehr, Thomas«, sagte er steif. »Also, wir sehen uns ja wieder.«
    »Ich denke wohl.«

2
     
    Die Wochen vergingen, aber irgendwie hatte ich noch keine neue Wohnung auftreiben können. Nicht, weil ich keine Zeit gehabt hätte. Die alljährliche kritische Phase des Krieges war wieder einmal vorübergegangen. Der Crachin, ein heißer, feuchter Wind, hatte vom Norden Besitz ergriffen: die Franzosen waren aus Hoa Binh verdrängt worden, in Tonkin war die Reisernte eingebracht worden, und in Laos die Opiumernte. Was im Süden zu tun war, konnte Dominguez spielend allein erledigen. Endlich raffte ich mich auf, mir ein Apartment in einem sogenannten modernen Gebäude (Pariser Ausstellung 1934?) anzusehen. Es lag am oberen Ende der Rue Catinat, jenseits des Hotels Continental, und war die Absteige eines Gummiplantagenbesitzers, der die Absicht hatte, nach Frankreich zurückzukehren. Er wollte die Wohnung mit allem Drum und Dran verkaufen. Ich habe mich immer gefragt, was ein Drum und Dran miteinschließt: Nun, dieses enthielt eine große Zahl von Kupferstichen aus dem Pariser Salon der Jahre 1880 bis 1900. Ihr größter gemeinsamer Faktor war eine vollbusige Dame mit einer ungewöhnlichen Frisur und einem kunstvoll drapierten Gewand aus dünnem Netzstoff, das irgendwie stets den Spalt des umfangreichen Gesäßes, dem Blick des Beschauers preisgab, während es das eigentliche Schlachtfeld geschickt verbarg. Im Badezimmer war der Plantagenbesitzer mit seinen Reproduktionen von Rops eher kühner gewesen.
    »Sie sind Kunstliebhaber?« fragte ich, und er bedachte mich mit einem schmutzigen Grinsen, als seien wir zwei Verschwörer. Er war ein untersetzter Mann mit einem kleinen schwarzen Schnurrbärtchen und schütterem Haar.
    »Meine besten Bilder befinden sich in Paris«, sagte er.
    Im Wohnzimmer stand ein eigenartiger, hoher Aschenbecher in Gestalt einer nackten Frau, die im Haar eine Schale trug. Es gab Porzellanfiguren von nackten Mädchen, die Tiger umarmten, und die sehr sonderbare Statue eines bis zu den Hüften entkleideten Mädchens auf einem Fahrrad. Im Schlafzimmer hing an der Wand gegenüber dem riesigen Bett ein großes lasiertes Ölgemälde von zwei Frauen, die miteinander schliefen. Ich fragte ihn, wieviel das Apartment ohne seine Sammlung kosten würde; doch er war nicht gesonnen, die beiden getrennt abzugeben.
    »Sie sind kein Sammler?« fragte er.
    »Nein, eigentlich nicht.«
    »Ich habe auch ein paar Bücher«, sagte er, »die ich umsonst dazugeben würde, obwohl ich sie eigentlich nach Frankreich mitnehmen wollte.« Er schloß die Glastür eines Bücherschranks auf und zeigte mir seine Bibliothek – bestehend aus kostspieligen illustrierten Ausgaben von »Aphrodite« und »Nana«, ferner »La Garçonne« und sogar mehreren Bänden von Paul de Kock. Ich war versucht, ihn zu fragen, ob er mit seiner Sammlung auch sich selbst verkaufen würde: Er paßte zu ihr, auch er entsprach dem Geist jener Zeit. »Wenn Sie allein in den Tropen leben, ersetzt eine Sammlung die fehlende Gesellschaft.«
    Ich dachte an Phuong, eben wegen ihrer völligen Abwesenheit. So ist es stets: Wenn man in die Wüste entflieht, schreit einem die Stille ins Ohr.
    »Meine Zeitung würde mir kaum die Anschaffung einer Kunstsammlung gestatten.«
    »Sie würde natürlich auf der Zahlungsbestätigung nicht aufscheinen«, sagte er.
    Ich war froh, daß Pyle ihn nicht gesehen hatte: Der Mann hätte leicht seine Züge Pyles Phantasiebild vom »alten Kolonialisten« leihen können, das auch ohne ihn schon abstoßend genug war. Als ich aus dem Haus trat, war es nahezu halb zwölf, und ich ging bis zum »Pavillon« hinab, um ein Glas eisgekühltes Bier zu trinken. Im »Pavillon« trafen sich europäische und amerikanische Frauen zum Kaffee, und ich war sicher, Phuong dort nicht zu sehen. Ja, ich wußte genau, wo sie sich um diese

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