Der stille Amerikaner
Stunde üblicherweise aufhielt – sie war keine Frau, die mit liebgewordenen Gewohnheiten brach. Deshalb hatte ich, als ich aus dem Haus des Plantagenbesitzers kam, die Straße überquert, um der Milchbar auszuweichen, wo Phuong um diese Zeit ihre Schokolade mit Malz trank. Am Nebentisch saßen zwei junge Amerikanerinnen, adrett und sauber trotz der Hitze, und löffelten Eiscreme. Beide hatten eine Handtasche über die linke Schulter geschlungen, und die Taschen sahen ganz gleich aus, auf jeder prangte ein Messingadler. Auch ihre langen, schlanken Beine sahen gleich aus, ebenso ihre Nasen, die eine. Spur aufgebogen waren. Die beiden aßen ihre Eiscreme mit einer Konzentration, als ob sie im Laboratorium ihres College ein chemisches Experiment machten. Ich überlegte, ob sie Kolleginnen von Pyle waren: Sie waren bezaubernd, und ich wollte auch sie nach Hause schicken. Jetzt waren sie fertig, und eine von den beiden blickte auf die Uhr. »Ich glaube, wir sollten gehen«, sagte sie, »um ganz sicher zu sein.« Müßig überlegte ich, was für eine Verabredung sie haben mochten.
»Warren sagte, wir dürfen nicht länger als bis elf Uhr fünfundzwanzig hierbleiben.«
»Das ist schon vorbei.«
»Es wäre aufregend, dazubleiben. Ich habe keine Ahnung, was eigentlich los ist. Weißt du es?«
»Nicht genau. Aber Warren meinte, wir sollten lieber nicht bleiben.«
»Glaubst du, ist es eine Demonstration?«
»Ach, ich habe schon so viele Demonstrationen gesehen«, sagte die andere gelangweilt wie eine Touristin, die der Kirchenbesichtigungen überdrüssig ist. Sie erhob sich und legte das Geld für die Eiscreme auf den Tisch. Ehe sie fortging, sah sie sich im Café um, und die zahlreichen Spiegel fingen ihr Profil aus jedem sommersprossigen Winkel auf. Nun saß nur noch ich im Lokal, und außer mir eine reizlose ältliche Französin, die sich umständlich, aber erfolglos das Gesicht bemalte. Jene beiden hatten Make-up kaum nötig, nur rasch ein wenig Lippenstift und mit einem Kamm durchs Haar gefahren. Einen Moment lang ruhte der Blick der einen auf mir – es war nicht der Blick einer Frau, sondern der eines Mannes, offen und gerade, mit dem sie irgendeine Vorgehensweise zu überlegen schien. Dann wandte sie sich mit einer schnellen Bewegung ihrer Begleiterin zu. »Komm, wir müssen gehen.« Gleichgültig blickte ich ihnen nach, während sie Seite an Seite auf die im Sonnenglanz liegende Straße hinaustraten. Es war unmöglich, sich eine von beiden als Opfer einer zügellosen Leidenschaft vorzustellen: Zerknüllte Bettücher und der Schweiß von Sex gehörten nicht zu ihnen. Nahmen sie vielleicht Deodorants mit sich ins Bett? Ich stellte fest, daß ich sie einen Augenblick lang um ihre sterilisierte Welt beneidete, so verschieden von jener, die ich bewohnte – und die jetzt mit einem Schlag und auf unerklärliche Art in Trümmer sank. Zwei von den Wandspiegeln kamen auf mich zugeflogen und zerbarsten auf halbem Weg. Die abgetakelte Französin lag inmitten zertrümmerter Stühle und Tische auf den Knien. Ihre Puderdose lag offen und unbeschädigt in meinem Schoß, und seltsamerweise saß ich genauso da wie zuvor, obwohl mein Tisch sich zu dem Trümmerhaufen rings um die Französin gesellt hatte. Ein eigenartiges Geräusch, wie in einem Garten, erfüllte das Café: das gleichmäßige Tropfen eines Brunnens, und als ich zur Theke hinüberblickte, sah ich dort Reihen zerborstener Flaschen, die ihren Inhalt in einem bunten Strom über den Boden des Lokals ergossen – das Rot von Portwein, das Orange von Cointreau, das Grün von Chartreuse, das wolkigtrübe Gelb von Pastis. Die Französin setzte sich auf und sah sich in aller Ruhe nach ihrer Puderdose um. Ich gab sie ihr, worauf sie mir, noch immer auf dem Boden sitzend, förmlich dankte. Ich merkte, daß ich sie nur undeutlich hören konnte. Die Explosion war so nahe gewesen, daß mein Trommelfell sich erst vom Luftdruck erholen mußte.
Ziemlich verärgert dachte ich: Schon wieder so ein Scherz mit dem Kunststoff! Was für eine Zeitungsmeldung erwartete Mr. Heng jetzt von mir? Doch als ich die Place Garnier erreichte, erkannte ich an den schweren Rauchwolken, daß es diesmal kein Scherz war. Der Qualm kam von den brennenden Autos auf dem Parkplatz vor dem Nationaltheater. Autotrümmer lagen über den ganzen Platz verstreut, und am Rande des Ziergartens lag zuckend ein Mann, dem die Beine fehlten. Aus der Rue Catinat und vom Boulevard Bonnard drängten sich Menschenmengen
Weitere Kostenlose Bücher