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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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es Ihrer Schwiegertochter gehen, wenn Ihre Enkelin solch einem Tier in die Hände gefallen wäre?« Noch während ich es aussprach, dachte ich, bist du übergeschnappt, Sigrid? Ich sah deutlich, wie er zusammenzuckte. Dann murmelte er:
    »Ja, Sie haben recht. Man mag gar nicht darüber nachdenken.« Er nickte noch einmal kurz, verabschiedete sich endlich und ging hinauf. Mara schlief immer noch. Nachdem Herr Genardy das Zimmer verlassen hatte, setzte ich mich neben sie auf die Couch und begann sie auszuziehen. Schon als ich ihr das T-Shirt über den Kopf streifte, rechnete ich fest damit, daß sie aufwachte. Ein Irrtum. Dann die Schuhe, feste Schuhe, die bis an die Knöchel reichten. Die Sohlen waren aus gerilltem Gummi. Ich hatte sie schon auf den Boden gestellt, da hob ich sie noch einmal hoch und schaute mir die Rillen an. Nichts, kein Krümelchen Erde, kein Grashalm. Die Kniestrümpfe waren unter den Fußsohlen schmutzig, sehr schmutzig sogar, als ob Mara ohne Schuhe herumgelaufen sei. Und jetzt die Hose ausziehen. Meine Finger zitterten leicht. Ich stand wieder vor der Wickelkommode. Franz lag in seinem Bett. Und in meinem Kopf war nur ein Vakuum. Was tu ich, wenn er ihr etwas getan hat, wenn Blut in der Windel ist, was tu ich dann? Maras Knie waren ebenso schmutzig wie die Hosenbeine. Ob er sie zeitweise ohne Hose hatte herumkriechen lassen? Sie kroch noch gerne auf dem Boden herum. Über der Windel trug Mara ein weißes Höschen. Es war so weiß wie frisch aus der Verpackung genommen. Und jetzt die Windel, mach sie auf, Sigrid. Ich konnte nicht. Ich sah nichts mehr. Erst als das Wasser übers Gesicht nach unten lief, klärte sich der Blick wieder, aber ich mußte häufig blinzeln. Wer hat dich denn unterstützt, als dir das Wasser bis zum Hals stand? Wer kümmert sich denn tagein, tagaus um dein Kind? Sie war doch noch so klein. Das dicke Bäuchlein, die Beine mit den Speckfalten. Der erste seitliche Klebestreifen der Windel. Meine Finger waren ganz steif, weil ich so krampfhaft bemüht war, das Zittern zu unterdrücken. Warum wachte sie denn nicht auf? Limbatril! Damit würdest du ein kleines Kind umbringen. Oder schlafen lassen, tief und fest schlafen lassen. Es mußte keine ganze Tablette gewesen sein, eine halbe oder ein Viertel reichten doch schon. Und es gab ja noch mehr von diesem Zeug, das gab es bestimmt auch als Tropfen. Ein paar Tropfen in die Limonade oder in die Milch! Komm, Mara, wach auf! Ich schlug ihr leicht gegen die Wange. Wenn er dir etwas getan hat, ich gehe hinauf, und dann tu ich ihm was. Das verspreche ich dir; wach auf, Mara! Der zweite Klebestreifen. Jetzt reiß dich doch zusammen, Sigrid, schlag die Windel auf und schau nach. Das tat ich endlich. Obwohl es mir sehr schwerfiel und ich ein bißchen Angst hatte, ihr weh zu tun, untersuchte ich sie doch ziemlich gründlich. Keine erkennbaren Verletzungen, ich war erleichtert, grenzenlos erleichtert. Und ich war enttäuscht, fühlte mich getäuscht, so wie damals. Was hat Papa mit dir gemacht? Er hat irgendwas mit dir gemacht, mein kleiner Schatz, ich weiß es. Er hat dich nicht nur eingecremt. Keine Cremespuren! In Maras Windel waren welche, auf ihrer Haut nicht. Da waren Sandkörner, nicht sehr viele. Sie klebten auf den Leisten und in den Hautfalten. Ich ging in die Küche, nahm ein Tuch und feuchtete es an. Als ich Mara zu waschen begann, zuckte sie unwillig, verzog einmal kurz den Mund, als wolle sie weinen. Die Windel war feucht, aber notgedrungen mußte ich sie ihr wieder anziehen. Ich hatte keinen Ersatz. Dann das Unterhöschen, die Hose drüber. Und das T-Shirt. Ich legte ihr eine Hand in den Nacken, zog sie ein wenig hoch und wollte ihr das T-Shirt über den Kopf streifen. Und da endlich schlug sie die Augen auf. Sie jammerte gleich los:
    »Oma.«
    »Ist ja gut«, murmelte ich,»Oma kommt gleich. Und Papa kommt auch.« Ich nahm sie auf den Schoß, schaukelte sie, damit sie nicht wieder einschlief.
    »Was hast du denn Feines gespielt? Erzählst du es mir? Wo warst du denn?«
    »Oma.«
    »Oma kommt gleich, es dauert nicht mehr lange. Wo warst du denn? Sag es mir!« Sie hing in meinem Arm wie ein kleiner nasser Sack.
    »Hast du ein Eis bekommen?«
    »Eis.«
    »Und eine Limonade oder Saft? Komm, Mara, erzähl es mir!« Es war völlig sinnlos, ich wußte das. So groß war Maras Sprachschatz noch nicht. Zum größten Teil bestand er aus einem unverständlichen Kauderwelsch, von dem nur meine Mutter behauptete, sie verstehe immer, was

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