Der stille Herr Genardy
Sigrid, zumindest für ein paar Tage. Hat ihm wohl nicht gefallen, daß du ihn angepumpt hast. – In der Ecke unter dem Waschtisch ein Häufchen Schmutzwäsche neben einem Waschmittelkarton. Über der Wanne war eine Plastikleine gespannt. Dafür hatte er zwei Haken in die Wände geschlagen, aber schön in die Fugen zwischen den Fliesen. Herr Genardy wird seine Wäsche aus dem Haus geben, hörte ich meine Mutter sagen. Du müßtest dir das hier ansehen, du wärst begeistert von seinen Antiquitäten, Mutter, die Augen würden dir aus dem Kopf fallen. Im Schlafzimmer ein schmales Bett. Es war ordentlich gemacht. Aber es wirkte so mickrig, weil es mit dem Fußteil in den Raum hinein und mit dem Kopfteil mitten an der Wand stand. Rechts neben dem Bett eine kleine Kommode, links ein alter Stuhl mit gepolsterter Sitzfläche, darauf das Hemd, das er am Abend zuvor getragen hatte, und auf dem Hemd ein Paar Socken. Links neben der Tür ein zweitüriger Kleiderschrank. Und kein Fetzen neuer Tapete an den Wänden, nirgendwo, auch im Wohnzimmer nicht. Da standen zwei Sessel und ein Tisch und an einer Wand eine Anrichte, höchstens einen Meter breit, zwei Türen, zwei Schubfächer darüber. Dann gab es noch ein paar größere Kartons mit Wäsche; Bettbezüge, Laken und Handtücher. Alles schon älter und reichlich verschlissen, wie der Kragen von seinem Sonntagshemd. Hundertfünfzig Mark mehr im Monat! Du wärst besser erst zur Bank gegangen, Sigrid, um wieviel willst du wetten, daß nichts auf dem Konto ist?
Denk lieber schon mal darüber nach, wen du anpumpen kannst. Diesen Monat hältst du dich selbst über Wasser. Die Vierhundert, die du letzte Woche mitgenommen hast, kannst du von der eisernen Reserve wieder auffüllen, dann stehst du wenigstens nicht im Soll. Und was machst du ab Juni? Anke, ich habe ein Problem. Tut mir leid, daß ich mich neulich wegen Mara so quergelegt habe. Mutter hat es dir doch bestimmt erzählt. Aber er hat ihr ja nichts getan, jedenfalls nichts, was mir aufgefallen wäre. Hinter den Türen der Anrichte stand ein bißchen Geschirr, nicht einmal ausreichend für sechs Personen, aber offenbar noch aus besseren Zeiten stammend. Mutter sammelte seit Jahren an einem kompletten Service, das unter jeder Tasse und jedem Teller solch ein Stempelchen trug. In den Schubfächern lagen Besteck und ein Schnellhefter aus Pappe, der offensichtlich auch schon seine Jahre auf den Deckeln hatte. Er enthielt ein paar private Papiere, nichts Aufsehenerregendes. Beim Durchblättern stieß ich auf einen handschriftlichen Kaufvertrag für das alte Auto. Dem Datum nach zu urteilen, fuhr Herr Genardy die Kiste noch nicht einmal zwei volle Jahre. Ich fand Kaufbelege für eine Couchgarnitur, bestehend aus Dreisitzer – wo war der denn abgeblieben? – und zwei Einzelsesseln, sowie einen Tisch und den WZ-Schrank Modell Genua. Und wo war der? Irgendwo eingebaut, vermutlich im Kopf von Herrn Genardy. Ansonsten gab es im Wohnzimmer nichts von Bedeutung. Das bißchen Inhalt der Anrichte war übersichtlich gestapelt. Und in der Zuckerdose vom Kaffeegeschirr lagen keine Schlüssel, nur ein paar Zuckerwürfel. Ich ging noch einmal ins Schlafzimmer, öffnete dort zuerst den Schrank. Einen Parka gab es nicht. Ich hatte fest damit gerechnet, einen zu finden. Und wenn ich einen gefunden hätte, hätte ich wahrscheinlich auch sofort Wolfgang Beer angerufen. Sehr wahrscheinlich, mit ihm hätte ich doch offen darüber reden können. Aber es gab keinen, und das hatte etwas Beruhigendes. Daß er ihn vielleicht in der alten Wohnung gelassen oder weggeworfen hatte, daran dachte ich nicht. Da hingen sieben Kleiderbügel mit Querstangen, wie man sie braucht, um Anzüge aufzuhängen. Aber es gab nur zwei einzelne Hosen aus Stoff, die Cordhose und drei Hemden. Auf einem Brett darüber noch ein paar Hemden aus dickem Wollstoff. Sie waren gefaltet, anscheinend seine Arbeitsbekleidung. Zwei Blaumänner gab es auch und ein Häufchen dicker Stricksocken, ein bißchen Unterwäsche. Unten im Schrank standen zwei Paar Schuhe. Inzwischen dachte ich kaum noch einmal daran, daß er zurückkommen und mich überraschen könnte. Selbst als auf der Straße ein Auto vorbeifuhr, machte mich das nicht für einen Augenblick nervös. Ich holte mir den Stuhl, stieg hinauf und untersuchte das Ablagebrett im Kleiderschrank. Doch außer den Kleidungsstücken gab es darauf nichts zu finden. Ich kontrollierte sogar sämtliche Hosentaschen, stieß in einer davon auf
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