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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Datums. Zuerst dachte ich wirklich noch, es wären vielleicht Fotos seiner Enkelkinder. Als ich den kleinen Packen aus dem Umschlag zog, lag ganz oben das Bild eines Babys von etwa achtzehn Monaten. Jedenfalls war das Kind auf dem Bild noch nicht so alt wie Mara. Und es war nackt. Ein kleines Mädchen, das über einen sehr bunten Teppich krabbelte, das rosige Hinterteil der Kamera zugewandt. Das Kind schaute über die Schulter zurück, als habe der Fotograf nach ihm gerufen, bevor er auf den Auslöser drückte. Aber das Kind auf dem nächsten Foto mochte im gleichen Alter sein wie Nicole. Und es lag auf einer Wiese, so nackt wie das Baby. Es lag da wie weggeworfen. Die Augen geschlossen, den Kopf zur Seite gelegt. Und die Beine… Mißbraucht und erwürgt, etwas anderes konnte ich nicht denken. Mir wurde übel, so furchtbar übel, daß ich glaubte, mich gleich neben seinem Bett übergeben zu müssen. Die Fotos waren fast alle gleich, nur die Kinder darauf waren immer andere. Es hätte mich nicht gewundert, wenn ich in einem der kleinen Gesichter Hedwigs Tochter erkannt hätte. Ich hatte mich nicht getäuscht. Er war wie Franz. Nein! Er war schlimmer. Und trotz der Übelkeit und des Ekels, trotz der Panik im Innern fühlte ich mich plötzlich ganz sicher. Groß und stark, erwachsen eben. Andere konnten Fremdsprachen, Steno und Auto fahren. Ich konnte fühlen, wenn etwas nicht in Ordnung war. Das war mehr als nichts. Ich steckte den Packen zurück in den Umschlag, obwohl ich dachte, ich sollte ihn vielleicht besser an mich nehmen, nach nebenan zu Hofmeisters gehen und Wolfgang Beer anrufen. Aber vielleicht dachte ich das auch erst viel später. Und als ich den Umschlag zurück ins Schubfach legte, sah ich in der hintersten Ecke die beiden Schlüssel und ein Stückchen weißen Stoff. Unser Freitag-Höschen! Die Schlüssel nahm ich. Das Höschen ließ ich zurück. Bevor ich die Wohnung verließ, hängte ich den Schlüssel, den ich abends genommen hatte, zurück an den Haken. Und wenn er die andern beiden vermißte, dann sollte er doch kommen.
    Ich wollte noch zur Bank, bevor Nicole aus der Schule kam. Aber ich schaffte es nicht. Es war elf vorbei, als ich hinunterkam. Mir zitterten die Knie so stark, daß ich mich erst einmal setzen mußte. Es war noch ein kleiner Rest Kaffee vom Frühstück übrig. Er war eiskalt und schmeckte entsetzlich bitter, aber er half auch ein bißchen gegen den Ekel. Während ich ihn trank, las ich den Beipackzettel aus der blau-weißen Pappschachtel. Sie enthielt fünf Streifen mit jeweils zehn kleinen Pillen. Ein starkes Beruhigungsmittel! Was passiert, wenn man einem Kind eine davon gibt? Schläft es dann ein? Frage in der Apotheke, wenn du in die Stadt gehst. Wozu braucht er das Zeug? Für sich ganz bestimmt nicht. Er ist doch nicht nervös. Und was jetzt, Sigrid? Das ist doch wohl klar! Wenn er heute heimkommt, gehst du zu ihm und wirfst ihn raus. Wenn du dir das nicht zutraust, wenn du befürchtest, daß er sich von dir nichts sagen läßt, dann mußt du eben bis zum Wochenende warten und es Günther überlassen. Der fehlende Rasierapparat und der fehlende Kamm schraubten die Wahrscheinlichkeit in die Höhe, daß ich es ohnehin Günther überlassen konnte. Aber ganz recht war mir das nicht. Ich weiß nicht, warum. Es war eben so eine Sache für sich, wer sich die Suppe einbrockt, der muß sie auch auslöffeln. Als Nicole heimkam, saß ich immer noch am Küchentisch vor einem Restchen kaltem Kaffee und den fünf unberührten Streifen aus der Packung.
    »Bist du krank, Mama?«
    »Nein.«
    »Dann ist es ja gut.« Sie war enttäuscht, daß ich noch nicht gekocht hatte. Ich machte uns rasch ein paar Pfannkuchen. Sie holte ein Glas Apfelmus dazu aus dem Keller, brachte auch ein Paket Milch mit hinauf, weil ich den Rest aus dem Kühlschrank für den Teig gebraucht hatte. Sie wollte das Paket gleich öffnen. Ich nahm es ihr aus der Hand, hielt es seitlich, nach unten, nach rechts und links, in alle möglichen Richtungen, und drückte dabei unentwegt auf die Packung. Es bildete sich nirgendwo auch nur ein Tröpfchen. Nicole betrachtete mein Tun argwöhnisch.
    »Hatten wir in letzter Zeit mal eine kaputte Milch, ich meine, eine, die nicht ganz dicht war?« Nicole schüttelte den Kopf.
    »Da muß man nämlich aufpassen«, sagte ich.
    »Sie wird nicht gleich sauer, wenn die Packung undicht ist. Aber es können alle möglichen Keime eindringen.« Themenwechsel.
    »Hat Denise dir eigentlich mal

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