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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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zerknüllte Papiertücher, auf sonst nichts. Blieb noch die Kommode neben dem Bett.
     Warum ich mir die für den Schluß aufgehoben hatte, wußte ich nicht genau. Vielleicht aus einer Art Scheu heraus, im Gedenken an das zerfledderte Heftchen, in dem Franz sich seine Träume angeschaut hatte. Aber dann war es doch fast schon Routine, das Schubfach aufzuziehen. Und es war noch etwas hinzugekommen. Ein bißchen Mitleid möglicherweise. Irgendwo und irgendwie verstand ich ihn, glaubte zumindest, ihn zu verstehen. Ich kannte das Gefühl so gut, wenn ich abends aufs Haus zukam. Dieses prachtvolle Haus, dem von außen kein Mensch ansah, welch ein Balanceakt es war, die Hypothek zu tilgen. Ich hatte doch auch Klimmzüge gemacht, um es behalten zu können. Und er hatte wohl bessere Zeiten gehabt, dafür stand allein das Porzellan in seinem Wohnzimmer, auch das Besteck war nicht aus Blech. Beamter im höheren Dienst, und dann war es bergab gegangen. Vielleicht würde Hans Werner Dettov den Grund herausfinden. Kein Sohn in einem großen Haus. Nur eine Tochter in Norddeutschland, die vielleicht nichts mehr mit ihm zu tun haben wollte. Enkelkinder, die er nie zu Gesicht bekam, von denen er nur träumen konnte. Vielleicht war er wirklich nur ein harmloser und einsamer alter Mann. Vielleicht erklärten sich meine Gefühle ihm gegenüber tatsächlich in der simplen Tatsache, daß er im gleichen Haus lebte wie der Mörder. Gelebt hatte. Aber ER hatte im gleichen Haus gelebt wie ein Mörder, nicht ich. Ich hockte auf Knien neben seinem Bett, wühlte in seinen Sachen herum und dachte, warum hat er dann nichts davon erwähnt, als ich ihm von der Tochter meiner Arbeitskollegin erzählte? Er hätte doch sagen können: Was es für Zufälle gibt. Ich habe das Kind mehrfach gesehen. Oder etwas Ähnliches in der Art. Aber er hatte nur gesagt:
    »Das gibt es doch nicht.« Und war er nicht auch ein bißchen blaß geworden oder zumindest kurz zusammengezuckt? Unten in der kleinen Kommode stand ein Körbchen, darin lagen etliche Paar recht neuer Baumwollsocken in dezenten Farben, alle passend zum braunen Anzug. Dann stand da eine kleine Schmuckdose. Inhalt: Zwei Manschettenknöpfe, sie waren immerhin aus Gold, wie der Stempel bewies. Fünfhundertfünfundachtzig, sagte Hedwig irgendwo in meinem Kopf und schrie mich an:
    »Bist du verrückt? Damit es nachher heißt, sie hat geklaut wie eine Elster…« Die Manschettenknöpfe hatten eine dezent geriffelte Oberfläche und jeweils in einer Ecke ein kleines Steinchen. Ich kannte sie bereits. Er hatte sie an dem Sonntag getragen, als er sich vorstellte. Nur hatte ich sie mir da nicht so aus der Nähe ansehen können. Und vom Ansehen bekam ich doch ein klein wenig Herzklopfen. Hedwig hatte mir die Krawattennadel nicht gezeigt. Nur die Unterschriften. Aber warum sollte nicht auch ein Student eine goldene Krawattennadel mit einem kleinen Diamanten besitzen? Er mußte sie ja nicht unbedingt auch tragen. Junge Männer trugen so was nicht. Ein Erbstück möglicherweise. Die Schmuckdose stand auf einer Wärmflasche. Und dieser Gummibeutel beruhigte mich erneut. Er war so alltäglich, so normal. Warum sollen nicht auch einsame alte Männer manchmal kalte Füße haben? Blieb noch das Schubfach. Es war mit allerlei Kleinkram gefüllt. Ein altes, nicht mehr funktionierendes Feuerzeug mit den Initialen J. G. Ein schmales Fotoalbum, die Bilder darin waren noch sämtlich Schwarz-Weiß-Fotografien mit gezackten Rändern. Herr Genardy als junger Mann von höchstens dreißig Jahren mit Frau und Tochter, mit Kinderwagen und vor einem Reihenhäuschen älterer Bauart. Es gab ein gutes Dutzend solcher Aufnahmen, der Rest in dem Album waren nur noch Kinderfotos. Das obligatorisch nackte Baby auf dem Teppich, in der Badewanne, auf einer Decke im Garten. Als etwa zweijähriges Kind vor einem Planschbecken und mit weit gespreizten Beinchen darin, das kleine Gesicht mit blinzelnden Augen angehoben.
     Man setzt ein kleines Kind nicht mit Windeln ins Wasser. Natürlich nicht, aber man läßt es auch nicht unentwegt nackt herumlaufen. Weiter hinten im Schubfach lag eine stattliche Anzahl von Medikamentenschachteln, kleine, blau-weiße Pappdosen. Ich zählte insgesamt elf Schachteln – will der Mann eine Apotheke aufmachen? Ich steckte mir eine in die Rocktasche. Dann lag da noch ein Umschlag, ein Briefumschlag, der ebenfalls Fotografien enthielt. Polaroidaufnahmen, mit einer Sofortbildkamera gemacht, offensichtlich neueren

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