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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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dahingeschrieben hatte. Er setzte sich an den Tisch, übte ein wenig, bis er diese Unterschrift täuschend echt unter die Notiz des Lehrers setzen konnte. Als er das Heft wieder zuklappte, sagte er ernst:
    »Das muß aber unter uns bleiben, sonst bekommen wir beide eine Menge Ärger.« Das Kind war dankbar, nickte eifrig. Und für ihn war es leicht, ein paar kleine Geheimnisse zu schaffen, angefangen bei dem Schulheft, die das Kind am Sprechen hinderten, die es nur enger an ihn banden. Er fand rasch heraus, wie er mit ihm umgehen mußte, um ihm die Unbefangenheit nicht zu früh zu nehmen. Er selbst redete viel, erklärte alle möglichen Dinge und Zusammenhänge und ließ das Kind reden. Hin und wieder ertappte er es zwar bei einer Lüge, aber er sprach es niemals darauf an, tat immer so, als glaube er alles, was es ihm erzählte. Daß das Kind anfangs nur aus einer Form von Berechnung heraus zu ihm kam, der Gedanke kam ihm nie in den Sinn. Er ging davon aus, daß es einfach nur nach einem Menschen gesucht hatte, der sich ein wenig kümmerte, der Zeit hatte und Verständnis. Und in ihm hatte es so einen gefunden, jedenfalls für eine kurze Zeit. Daß sie nicht zu lang werden konnte, die Zeit, war dem Mann bewußt. Man durfte einfach das Alter des Kindes nicht übersehen. Wenn es erst argwöhnisch wurde, war es vielleicht schon zu spät. Anfangs hielt er sich eisern unter Kontrolle, begnügte sich mit versteckten Zärtlichkeiten, denen er auch noch den Anschein von Besorgnis gab. Wie unbeabsichtigt berührte er einmal die Schenkel des Kindes, ganz so, als wolle er nur den Stoff der Hose prüfen. Gleich nachdem er sie berührt hatte, steckte er die Hand hinter den Rücken, um das Zittern zu verbergen, und er sagte:
    »Die Hose ist zu eng für dich. Das muß deine Mutter doch sehen, daß die nicht mehr paßt. Es ist gar nicht gut, wenn man so enge Hosen trägt. Da kann das Blut nicht richtig zirkulieren. Ich möchte wetten, du hast oft kalte Füße.« Das Kind trug an dem Tag keine Strümpfe und nickte erstaunt. Und als er ihm dann empfahl, die Hose auszuziehen, wenigstens solange es bei ihm in der Wärme war, folgte es seinem Rat fast augenblicklich. Anschließend überließ es ihm die nackten Beine, damit er die Haut reiben und die Blutzirkulation wieder in Gang bringen konnte. Es lachte ein paarmal, weil er es kitzelte, wenn er mit den Fingerspitzen den Saum des Unterhöschens berührte. Aber es blieb ganz arglos. Nach diesem Tag sorgte der Mann dafür, daß er stets einen Vorrat an Süßigkeiten in der Wohnung hatte, brachte jeden Tag von seinen Einkäufen etwas mit. Einmal kaufte er sogar ein Kleid für die widerliche Puppe. Meist jedoch beschränkte er sich auf Schokoladenriegel und Bonbons. Und manchmal steckte er dem Kind einen Geldschein zu, damit es sich selbst etwas kaufen konnte. Es naschte gerne, anscheinend bekam es von seiner Mutter nur selten etwas. Und bei ihm bedankte es sich für jeden Geldschein und jeden Schokoladenriegel mit einem Kuß. Einmal setzte es sich auf seinen Schoß, drückte sich an ihn und legte die mageren Arme in seinen Nacken. Es sei so froh, sagte es, daß es jetzt wieder einen Menschen habe, fast so einen wie den Großvater. Es erzählte ihm von seinem Großvater, von der Großmutter und dem Vater, die es alle nicht mehr zu Gesicht bekam. Und ihn machte es fast krank, als ihm der süße Geruch der Schokolade in die Nase stieg. Er zog das Kind ein wenig fester an sich. Konnte das Zittern kaum noch unter Kontrolle halten. Er strich über den derben Hosenstoff hinauf und hinunter, und er wußte, daß er nicht mehr lange so weitermachen konnte. Minutenlang dachte er darüber nach, zwei von den kleinen Tabletten in die Limonade zu tun. Ihn selbst machten sie müde, wenn er nur eine nahm, das Kind hätte garantiert tief und fest geschlafen davon. Und wenn es danach wieder auf wachte… Wäre das Mädchen jünger gewesen, hätte er es versucht. Vielleicht hätte er sich noch eine Weile begnügen können. Aber das Kind war einfach schon zu alt.Vergessen habe ich den Braunen nie. Es gab in den vergangenen sechs Jahren nicht eine Nacht, in der ich nicht mindestens einmal an ihn gedacht habe. Tagsüber geriet er ein bißchen in den Hintergrund. Da waren so viele andere Dinge. Dinge, die Franz mir bis dahin abgenommen hatte. Und plötzlich stand ich allein mit ihnen. Ich mußte mich entscheiden, immerzu entscheiden. Resignieren und alles der Bank überlassen, vielleicht doch bei meiner Mutter

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