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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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der mich anschaute und anfaßte, der mir nicht nur das Nachthemd bis zum Nabel schob oder mir den Rücken waschen wollte. Daß ich mich manchmal so danach gesehnt hatte, daß es wie ein ziehender Schmerz hinter den Rippen gewesen war. Aber daß ich es jetzt gar nicht mehr wissen, daß ich nie wieder einen Mann wollte. Wenn ich dann vom Friedhof zurückkam, war ich immer ganz ruhig. Ich konnte fühlen, daß Franz mir verziehen hatte. Die gräßlichen Alpträume klangen allmählich ab. Vor dem ersten Arbeitstag hatte ich sogar einen richtig schönen Traum von Hedwig. Da stand ich wieder vor dem Kino in Horrem und wartete auf sie. Sie kam nicht. Wir trafen uns erst am nächsten Tag bei der Arbeit. Und das war nicht das kleine Geschäft, in dem wir damals gelernt hatten, sondern die Lebensmittelabteilung des Kaufhauses in Köln. Hedwig entschuldigte sich, sie hätte sich mit ihrem Freund verkracht und wäre nur deshalb nicht gekommen. Ich erzählte ihr, ich hätte einen Mann kennengelernt, als ich auf sie wartete, aber er hätte mich schon wieder verlassen. Und Hedwig sagte:
    »Mach dir nichts draus, eines Tages komme ich zu dir, und dann machen wir uns ein richtig schönes Leben.« Und dann stand Hedwig mir am ersten Arbeitstag tatsächlich gegenüber. Ich hatte sie nicht mehr gesehen, seit sie damals ein Jahr nach ihrer Lehre das kleine Geschäft verlassen hatte. Im ersten Augenblick habe ich sie gar nicht erkannt. Der Name Otten sagte mir nichts. Aber Hedwig erinnerte sich an den Namen Pelzer und auch an mein Gesicht. Sie meinte, ich hätte mich kaum verändert. In den Mittagspausen hatten wir Gelegenheit, über die vergangenen Jahre zu reden, erst nur in groben Zügen. Hedwig war verheiratet, logisch, aber nicht mit ihrem damaligen Freund. Das hätte nicht mehr lange gehalten, sagte sie, zuletzt hätten sie nur noch gestritten. Mit ihrem Mann schien sie sich auch nicht sonderlich gut zu verstehen. Sie lebten bei den Schwiegereltern, lebten praktisch von dem, was Hedwig verdiente.
    »Und die Hälfte davon versäuft er«, sagte sie.
    »Er arbeitet nicht. Wenn er wirklich mal eine Stelle findet, fliegt er nach ein paar Wochen wieder raus. Eine eigene Wohnung könnten wir uns gar nicht leisten.« Hedwig hatte ein Kind, auch ein Mädchen, drei Jahre älter als Nicole. Hedwigs Tochter hieß Nadine und wurde tagsüber von der Schwiegermutter betreut. Ich hatte oft das Gefühl, daß alles von vorne begonnen hatte. Tagsüber erschienen mir die Jahre mit Franz nur wie ein schöner Traum. Das kam schon, wenn ich morgens aus dem Haus ging. Die Hetze zum Bus, in Horrem umsteigen, den ganzen Tag zwischen den Regalen, Ware auffüllen, Ware auszeichnen, manchmal hinter der Käsetheke, ab und zu ein paar Worte mit einer Kundin. Frühstückspause, Mittagspause, mit Hedwig zusammensitzen, über die Kinder reden, über Männer. Hedwig glaubte mir wieder einmal nicht, als ich sagte, daß ich keinen mehr wollte, daß ich auch keinen brauchte, fürs Bett ganz bestimmt nicht. Und für den Rest hatte ich Frau Humperts.
    »Wenn ich das sagen würde«, meinte Hedwig ,»könnte ich es verstehen. Du kannst dir nicht vorstellen, wie das ist, wenn er besoffen heimkommt und über mich herfällt. Meist kann er gar nicht richtig, dann wird er stinksauer und läßt seine Wut an mir aus. Ich habe mich mal eingeschlossen, da hat er Nadine verprügelt, bis ich die Tür eben wieder aufgemacht habe. Aber du warst doch glücklich mit deinem Franz. Du hast doch keine schlechten Erfahrungen gemacht.« Manchmal war ich nahe daran, ihr von den Samstagen zu erzählen. Daß ich mit den Schuldgefühlen nicht fertig wurde. Daß ich Angst hatte, es würde mir mit einem anderen Mann ebenso ergehen. Oder dem Mann mit mir. Daß ich immer an das denken mußte, was meine Schwiegermutter gesagt hatte. Und daß es letztlich bedeutete, ich hatte Franz getötet, nicht mit meinen Händen, nur mit meinem Gesicht. Mit dem Widerwillen darauf, mit der Kälte, der Abwehr. Aber ich tat es nie. Und Hedwig fragte nicht nach Einzelheiten. Und abends wieder die Hetze. Frau Humperts hatte meist gekocht, wenn ich heimkam. Es war fast so, als würde ich bei meiner Mutter am Tisch sitzen, so wie ich früher gerne bei ihr am Tisch gesessen hätte. Nachts lag ich oft lange wach. Mir ging so viel durch den Kopf: Die zwölf Jahre mit Franz, von der Minute vor dem Kino bis zu dem Augenblick, wo ich ihn vor dem Haus in seinen Wagen steigen sah. Meine Schwiegermutter, die neben mir nicht mehr

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