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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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halten kann. Das war sein großer Traum. Dafür hat er sich krummgelegt. Er wollte, daß wir hier leben. Also werde ich nicht zulassen, daß es andere tun. Und dann kümmere ich mich um mein Kind.« Mein Kind! Komisch, immer habe ich nur gesagt:
    »Mein Kind!« Nicole war für mich nie unser Kind gewesen. Und ich konnte es gar nicht so machen wie meine Mutter. Die hatte nach Vaters Tod eine gute Rente bekommen. Und Franz hatte sich selbständig gemacht, ein knappes Jahr vor dem Unfall. Die eigene Existenz, auf die er so stolz gewesen war. Die anfangs noch nicht genug einbrachte, um davon einen ausreichenden Versicherungsschutz zu finanzieren. Als er starb, blieben für mich ein paar unerledigte Aufträge und etliche Kartons mit Wand- und Bodenfliesen in der Garage zurück. Und das Schuldgefühl. Wenn ich mir mehr Mühe gegeben hätte, wenn ich ihm nur einmal gezeigt hätte, daß es mich gar nicht ekelte. Wenn ich an dem Samstagabend gesagt hätte:
    »Sieh zu, daß es nicht zu spät wird. Du hast seit Wochen nicht mehr mit mir geschlafen. Heute brauche ich dich.« Wenn ich ihn dabei angelächelt hätte, mit ein bißchen Sehnsucht im Blick. Wenn… Ich hatte ihn nicht angelächelt. Ich hatte gesagt:
    »Es macht nichts. Ich schaue mir den Film im zweiten Programm an, und danach gehe ich ins Bett. Ich bin auch ziemlich müde.« Und in meinem Blick war wohl nur Erleichterung gewesen. Und dann saß ich eben da, achtundzwanzig Jahre alt, mit einem Haufen Schulden, einem Haus, einer zweijährigen Tochter, allein. Keiner hat geglaubt, daß ich es schaffe. Ich selbst auch nicht. Aber ich habe es geschafft, ich habe es irgendwie überlebt. In den ersten Jahren nur für Nicole und das Haus. Es ist ein prachtvolles Haus. Franz hat es damals zusammen mit seinen Brüdern gebaut, sonst wäre der Schuldenberg noch größer gewesen. Hundertsechzig Quadratmeter Wohnfläche, achtzig unten, achtzig oben, der ganze Keller gefliest und eine große Terrasse mit Garten dahinter. Rein vom Grundriß her war das alles für eine Familie mit Kindern gedacht. Im Erdgeschoß die Diele, der große Wohnraum, die Küche, gleich neben der Haustür das Büro, in dem Franz spätabends noch den Papierkram erledigt hatte, gegenüber dem Büro die Gästetoilette. Und im Obergeschoß das Schlafzimmer mit einem windgeschützten Balkon davor, das Kinderzimmer, das Bad und ein freier Raum, vielleicht das zweite Kinderzimmer. Kurz vor dem Unfall hatte Franz oft von einem zweiten Kind gesprochen.
    »Wenn wir aus dem Gröbsten raus sind«, hatte er immer gesagt. Und dann ließ er mich mitsamt dem Kind in einem Chaos zurück, das größer gar nicht sein konnte. Ich wußte oft nicht, wo mir der Kopf stand. Es konnte nicht so sein, wie meine Schwiegermutter angedeutet hatte. Es war ein Unfall gewesen, das hatte die Polizei eindeutig festgestellt. Überhöhte Geschwindigkeit, eine regennasse Fahrbahn, eine scharfe Kurve und der Baum. Franz war nicht mit Absicht dagegen gefahren. Das hätte ich wirklich nicht überlebt. Nach seinem Tod verging keine Nacht ohne Alptraum. Es waren gräßliche Träume. Einmal lag ich darin in meinem Bett an einem Samstag abend. Es war ganz dunkel im Zimmer, dann kam Franz herein. Er flüsterte:
    »Jetzt muß ich dir ein bißchen weh tun.« Und dann stieß er mir ein Messer in den Bauch. Oder ich lag in der Badewanne, hörte Musik aus einem Kofferradio. Hinter mir auf der Ablage lag die große Bürste, die für den Rücken gedacht war. Und plötzlich schwebte die Bürste über mir, wie von einer unsichtbaren Hand gehalten. Ihre Borsten waren ziemlich rauh, und sie fuhr mir über den Bauch nach unten, bohrte sich zwischen meine Beine, daß ich das Gefühl hatte, innerlich zu zerreißen. Manchmal sah ich nur das runde und gutmütige Gesicht von Franz, wie es über mir schwebte. Er schaute mich an, so traurig und hilflos. Dann fragte er:
    »Was hast du denn, Siggi, gefällt es dir nicht? Ich bin doch ganz vorsichtig. Ich tu dir nicht weh. Ich will dir doch nicht weh tun, du bist doch mein kleines Mädchen.« Und noch während er das sagte, zog sich in mir alles zusammen, wurde alles ganz starr und steif. Verspannungen, hatte mir der Arzt mal gesagt. Und dann kamen die Krämpfe. Die spürte ich sogar, wenn ich nur davon träumte. Dann gab es noch einen Traum, der sich mehrfach wiederholte, in dem ich einen verschneiten Bahndamm entlang lief, schneller und immer schneller, obwohl ich kaum vom Fleck kam. Weit vor mir war ein Licht und hinter mir

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