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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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darüber dachte. Und am dritten Tag raste Franz mit seinem Wagen gegen einen Baum. Er sei auf der Stelle tot gewesen, sagte die Polizei. Das war an einem Samstag im April vor sechs Jahren. Und in der vergangenen Nacht habe ich wieder geträumt. Als Franz starb, war ich danach selbst ein bißchen tot. Es war wie ein Loch im Innern, das die Polizei mir geschaufelt hatte, ganz finster und so groß, daß es sich mit nichts wieder auffüllen ließ. Dabei glaubte ich zuerst gar nicht, was sie mir gesagt hatten. Wie hätte ich das auch glauben können? Franz war mein Halt, er war ein Mensch, der mit beiden Beinen auf der Erde stand. Der zwölf Jahre lang plante, rechnete, Entscheidungen traf. Der wußte, wann die Rechnungen bezahlt und der Rasen geschnitten werden mußte, wie man einen tropfenden Wasserhahn repariert und wann der Gummibaum einen größeren Topf brauchte. Und auf das, was er sagte, hatte ich mich immer hundertprozentig verlassen können. Er war an dem Samstag abend nur weggefahren, um sich einen Neubau anzusehen, den er übernehmen wollte. Bad, Keller, Küche, Terrasse, Arbeit für etliche Wochen, ein schönes Stück Geld für seine Familie. Bevor er losfuhr, hatte er gesagt, daß es spät würde. Ich ließ die Polizisten reden und dachte nur, es wird spät werden. Ich ging ins Bett, nachdem sie wieder fort waren. Ich schlief auch gleich ein, das weiß ich noch. Am nächsten Morgen weckte Nicole mich, da war das Bett neben meinem immer noch leer, und ich dachte wieder, es wird spät werden. Kurz vor Mittag kam dann meine Schwiegermutter, ganz rotgeweint. Zuerst beschwerte sie sich, daß sie es von der Polizei hatte erfahren müssen, daß ich es nicht einmal für nötig befunden hatte, seine Familie zu informieren. Ich wußte gar nicht, wovon sie sprach. Sie saß mir gegenüber und schaute mich an, sehr genau und sehr lange. Dann sagte sie:
    »So ist das, wenn ein Mann gar nicht mehr weiterweiß. Wenn er jahrelang hofft und wartet und am Ende begreifen muß, daß sich für ihn nie etwas ändert.« Meine Schwiegermutter stemmte sich aus dem Sessel hoch und ging auf die Tür zu. Dort drehte sie sich noch einmal um.
    »Wie oft hat er bei mir gesessen«, sagte sie ,»wie oft habe ich ihm gesagt, Junge, du siehst nicht sehr glücklich aus. Dann sagte er immer, laß nur, Mutter, es liegt nicht an Siggi, es liegt an mir. Ich geb’ mir ja Mühe, ich versuch’ immer, mich zurückzuhalten.« Meine Schwiegermutter lachte und weinte in einem.
    »Zurückzuhalten! Hat er deshalb geheiratet, damit er sich zurückhalten mußte? Was hat er denn Schlimmes von dir verlangt? Selbst wenn es dir nicht paßte, konntest du nicht einmal eine Faust in die Tasche machen für ihn? Hat er nicht alles getan, um es dir recht zu machen? Und was hast du getan?« Da begriff ich endlich. Und ich fiel in die sich drehende schwarze Scheibe, auf der der Braune immer zum Abschluß mit mir tanzte. Ich muß ein paar Wochen damit zugebracht haben, mich von dem Ding im Kreis herumwirbeln zu lassen. Wenn ich an diese Wochen zurückdenke, sehe ich immer nur das Gesicht meiner Mutter. Sie sitzt mir gegenüber in unserem neuen, großen, hellen Wohnzimmer. Die Möbel hatte Franz ausgesucht, er hatte einen guten Geschmack. Und er meinte, für so ein großes Haus braucht man eine gediegene Einrichtung. Meine Mutter schaut sich im Zimmer um. Die Möbel sind noch nicht ganz bezahlt. Meine Mutter hält Papiere in der Hand. Eine Mahnung, weil ich die fällige Rate für die Möbel vergessen habe. Ein Erinnerungsschreiben von der Bank, weil ich nicht daran gedacht habe, die Hypothekenzinsen für das Haus pünktlich zu überweisen. Und meine Mutter fragt mich:
    »Was willst du denn jetzt machen, Sigrid?« Ich erinnere mich nicht an die Beerdigung. Ich weiß nicht einmal, wie der Sarg aussah oder ob ich Franz ein paar Blumen ins Grab geworfen habe. Ob es danach Kaffee gab, ob ich tatsächlich das schwarze Kostüm trug, das seit damals in meinem Schrank hängt. Ob meine Schwiegermutter dabei war und wirklich gesagt hat:
    »Neben der kann ich nicht mehr atmen, hier friert man ja innerlich ein.« Aber diesen einen Satz von meiner Mutter, den höre ich immer noch. Er war voller Abwehr. Ebensogut hätte Mutter sagen können:
    »Komm nur nicht auf die Idee, du könntest jetzt wieder bei mir unterkriechen.« Was ich ihr geantwortet habe, weiß ich auch noch ganz genau.
    »Was soll ich schon machen? Das gleiche wie du damals. Ich sehe zu, daß ich das Haus irgendwie

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