Der stille Herr Genardy
Norbert vorschwärmte, von seinen Qualitäten als Mann. Wie sie lachte:
»Schockiert, Schwesterherz? Aber so ist das, wenn es da nicht funktioniert, funktioniert es nirgendwo besonders gut. Du hast gar keine Ahnung, was du bisher versäumt hast. Dein Franz war ein lieber Kerl, aber er war ein Trampel.« Ich nahm Günthers Einladung an, hatte ein schlechtes Gewissen dabei und ein Kribbeln im Bauch. Es kribbelte sogar im Kopf. Frau Humperts freute sich, daß ich mal rauskäme, natürlich wollte sie sich gerne um Nicole kümmern. Ich müsse auch gar nicht auf die Zeit achten. Das hatte ich auch nicht vor. Ich war sehr nervös an dem Samstag nachmittag, richtig überdreht. Ich kannte ihn doch gar nicht, aber er hatte mich aus dem Wasser gezogen. Das war die eine Seite, und die andere Seite war: Er hatte mich angesehen, nicht erst im Auto, auch vorher schon, im Hallenbad, als wir da an der Bar saßen. Ich in dem neuen Badeanzug, zu dem Anke gemeint hatte:
»Jetzt stell dich bloß nicht so an, Sigrid, natürlich kannst du den tragen. Das weißt du auch ganz genau, sonst hättest du dir das Ding schließlich nicht gekauft. Was willst du eigentlich von mir hören? Daß es allmählich höchste Zeit wird? Daß du noch gute Chancen hast, dir einen Mann zu angeln? Und daß du ein Recht darauf hast, daß niemand von dir verlangen kann, allein zu bleiben.« Ich mußte mir die ganze Zeit vorstellen, daß ich mit Günther ins Bett ging, daß er mich auch dabei anschaute, daß er mich anfaßte, auszog, daß er nicht erst lange fragte, ob ich dieses oder jenes mochte, daß er es einfach tat. Eine geschlagene halbe Stunde suchte ich in meiner Unterwäsche herum, wollte etwas ganz Raffiniertes, aus Spitze vielleicht und fast durchsichtig. So was besaß ich gar nicht. Ich dachte sogar daran, rasch zu Anke zu laufen und mir etwas zu leihen. Später habe ich mich dafür geschämt, da kam ich mir richtig blöd vor. Günther holte mich kurz vor acht ab. Aber wir fuhren nicht zu seiner Wohnung, wir fuhren gar nicht. Wir gingen zum Chinesen in die Hahnenpassage. Da saßen wir uns dann gegenüber. Wir unterhielten uns die ganze Zeit. Über die Ungerechtigkeit im Steuersystem, das Geschiedene und Verwitwete gegenüber den Verheirateten so benachteiligt. Während er sprach, schaute er entweder in seinen Teller oder auf das Tischtuch. Er spielte mit seinem Feuerzeug herum, zündete sich eine Zigarette an der anderen an. Kurz nach zehn brachte er mich zurück. Er ging noch mit bis zur Haustür. Ich dachte, er wartet bestimmt darauf, daß ich ihn zu einem Kaffee einlade, und wußte nicht, wie ich es ausdrücken sollte. Und als ich es dann endlich herausgebracht hatte, da schaute Günther auf die Uhr und zuckte bedauernd mit den Achseln.
»Tut mir leid«, sagte er,»ich war letzten Sonntag wohl ein bißchen voreilig. Ist normalerweise nicht meine Art, mit der Tür ins Haus zu fallen. Ich weiß auch nicht, welcher Teufel mich da geritten hat.« In dem Moment juckte es mich nur noch in den Fingern, ich hätte ihn gerne geschlagen. Ich sah ihn erst wieder, als ich eine Woche später mit Nicole zum Schwimmen ging. Da tat er so, als sei überhaupt nichts gewesen. Und ich wußte genau, ich war nicht die einzige, die sich irgend etwas vorgestellt hatte. Er hatte sich das auch ausgemalt, so richtig schön bunt und ein bißchen brutal. Nur ein bißchen, nur so viel, daß ich spürte, er war der Mann, und ich war eine Frau, die einen Mann verrückt machen konnte. Danach sahen wir uns erst einmal alle vierzehn Tage im Hallenbad. Und keine Andeutung mehr in Richtung Bett, keine Einladung mehr in seine Wohnung, nur ab und zu ein Blick, als wolle er ein Pferd kaufen und könne sich nicht entscheiden. Ein Kaffee an der Bar, für Nicole ein Eis oder einen Milchshake. Manchmal fuhr er uns heim, aber ich stieg immer gleich aus. Ich wußte nicht mehr, was ich von ihm halten sollte. Er sprach nie über sich, und mich ließ er erzählen. Selbst als er dann zum erstenmal mit ins Haus ging, änderte sich nichts. Er blieb den ganzen Nachmittag und kümmerte sich mehr um Nicole als um mich. Aber es störte mich gar nicht, es war genauso, als ob Norbert sich mit ihr beschäftigte. Norbert, der die kleine Mara mit in die Badewanne nahm. Der sie fütterte und wickelte, cremte und puderte, ihr dabei auf das Hinterteil klopfte, ihren nackten Bauch küßte und die dicken Beinchen oder die Fußsohlen. Der dabei mit Mara um die Wette lachte und sagte:
»Warte ab, Moppel, wenn
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