Der stille Herr Genardy
ihr ein anderes. Sie maulte weiter:
»Du hättest ja auch mal in der Tasche nachsehen können. Ich kann ja nicht an alles selbst denken.« Irgendwie verdreht das Ganze. So hätte ich mit ihr reden müssen. Anschließend suchte sie ihr Freitag-Höschen. Ich schickte sie in den Keller. Sie kam mit leeren Händen zurück, so aufsässig und unleidlich.
»Das hast du auch noch nicht gewaschen. Gib es doch zu. Es hängt jedenfalls nicht auf dem Ständer.« Ich war mir ganz sicher, daß ich das Höschen in der Nacht noch gesehen hatte, zusammen mit ein paar anderen auf dem Trockengestell. Ich ging selbst in den Keller, aber es war tatsächlich nicht da. Auf der Leine hingen nur Dienstag, Mittwoch und Donnerstag. Und in meinem Kopf trafen sich die Stimmen von Hedwig und Günther. Ein Donnerstag-Höschen! Ich nahm einfach eins von der Leine. Und Nicole meckerte weiter.
»Heute ist aber Freitag, da kann ich nicht das Mittwoch-Höschen anziehen. Die lachen mich ja aus.« Bis dahin hatte ich sie noch nie angebrüllt, aber es wurde mir einfach zuviel.
»Dann hol dir gefälligst ein anderes aus deinem Zimmer«, schrie ich. Sie zuckte zusammen, als ob ich sie geschlagen hätte, starrte mich aus runden Augen an.
»Schrei mich bloß nicht an, mir tut der Kopf weh.« Und bevor ich ihr darauf antworten konnte, trottete sie hinaus; ob sie tatsächlich in ihr Zimmer ging oder noch einmal in den Keller, darauf habe ich nicht geachtet. Als sie zurückkam, hatte sie ihre trotzige Miene aufgesetzt. Bis sie zur Schule ging, sprach sie kein Wort mehr mit mir. Und ich hatte noch im Bus ein schlechtes Gewissen. Am Bahnhof in Horrem kaufte ich mir eine Tageszeitung. Ich hatte das Gefühl, als sei mein Gehirn mit Watte verstopft. Ich konnte einfach nicht mehr denken.
Verrückte Gefühle, wüste Träume. Ich hatte einen Traum, ich hatte das Gefühl. Manchmal war es ja wirklich so, als ob ich nicht bis drei zählen könnte. Ich war vierunddreißig Jahre alt, hatte einen Beruf, eine achtjährige Tochter und ein Haus, auf dem noch etwa hundertdreißigtausend Mark Hypothek lasteten. Und keinen Ehemann. Auch keinen Freund, nur einen Mann, der vor ein paar Wochen zum erstenmal mit mir geschlafen hatte. Ausgerechnet mit mir, wo ich doch immer gedacht hatte, ich könnte nie wieder mit einem Mann ins Bett gehen, selbst dann nicht, wenn ich ihn liebte, ihn seit langem und sehr gut kannte, mich bei ihm wohl fühlte und sicher.
Aber ich ging ja mit Günther auch nicht ins Bett, nur auf die Couch oder auf den Boden, ausgerechnet ich, auf den Boden. Oder auf die Motorhaube seines Wagens. Wie beim erstenmal. Und manchmal dachte ich, ich hätte vom ersten Moment an gewußt, wie es mit Günther sein würde. Und gewollt hätte ich es, an gar nichts anderes denken können. Nicht direkt an die Motorhaube oder den Fußboden, nur an die Art, wie er mit mir schlief. Ein bißchen unberechenbar und hemmungslos. Und dann dachte ich eben, ich hätte ihm das angesehen. Ich hätte darauf gewartet, jahrelang gewartet. Und daß ich enttäuscht war, maßlos enttäuscht, weil es nicht gleich so lief, wie ich es mir vorgestellt hatte. An dem Sonntag im Hallenbad, als wir uns kennenlernten, als er mich zu einem Kaffee und Nicole zu einem Milchshake einlud, hatte er uns anschließend auch heimgefahren. Nicole stieg gleich aus, ich blieb noch im Auto sitzen. Ich wollte ihn nicht einfach so wegfahren lassen, wollte ihn sogar zum Mittagessen einladen. Ich hätte das auch getan, aber ich wußte genau, daß es für drei nicht reichte. Und Günther schaute mich an, nicht ins Gesicht, nur auf die Beine, auf den Busen. Dann fragte er:
»Wie lange sind Sie schon allein?« Ich hatte ihm im Hallenbad gesagt, daß ich Witwe sei. Weil er ganz direkt nach meinem Mann fragte, nicht nur einmal, mehrfach, weil ich ihm nicht gleich eine Antwort gegeben hatte, die ihm gefiel.
»Seit fünf Jahren und sechs Monaten«, sagte ich. Da grinste er.
»Das glaube ich nicht. Seit fünf Jahren und sechs Monaten Witwe, aber nicht alleine die ganze Zeit.« Dann lud er mich für den Samstag abend zum Essen ein, gleich zu sich in die Wohnung. Er würde für uns kochen, sagte er, danach könnten wir es uns gemütlich machen. Es war völlig klar, was er von mir wollte und daß er nicht daran dachte, Zeit zu vertrödeln. Ich wollte nein sagen, und ich wollte es nicht, und ich konnte es nicht. Er schaute immer noch auf meine Beine. Und ich auf seine. Ich hatte plötzlich Ankes Stimme im Kopf, wie sie mir von
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