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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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Oberschenkel hatte sich anscheinend entzündet. Meine Mutter war den ganzen Nachmittag bei Anke gewesen. Das war mir nichts Neues. Aber zum erstenmal hatte Mutter sich längere Zeit mit Nicole beschäftigt, ohne an ihr herumzumäkeln. Mutter hatte sogar vorgeschlagen, für die Zeit, die Anke nach der Geburt im Krankenhaus verbringen mußte, zu uns zu kommen.
    »Sie hat gesagt, sie kommt dann immer kurz vor Mittag und kocht was. Und sie bleibt hier, bis du abends von der Arbeit kommst. Mara müßte sie natürlich mitbringen.« Das waren nun ganz neue Töne. Und Nicole war mit Mutters Vorschlag ganz und gar nicht einverstanden.
    »Ich habe ihr gesagt, das ist nicht nötig, weil ich zu Denise gehen kann.« Sie hatte zur Sicherheit schon bei Denises Mutter angefragt. Und die hatte ihr Einverständnis erklärt. Ich wollte selbst noch einmal mit Frau Kolling reden. Ihr vielleicht ein bißchen Geld anbieten, weil Nicole ja auch essen mußte, nach Möglichkeit zweimal. Und die Kollings waren mit ihren drei Rindern auch nicht auf Rosen gebettet. Nicole ging um acht ins Bett. Ich hatte noch bis kurz vor zehn mit der Wäsche zu tun. Zuerst die übliche Sortiererei. Eine halbe Maschinenfüllung Unterwäsche, Frotteesocken von Nicole und Handtücher. Während die Maschine lief, wusch ich zwei Blusen von mir auf der Hand. Dann nahm ich mir den Pullover mit dem Pferdekopf noch einmal vor. Ihn nur mit Wasser auszuwaschen, hatte nichts geholfen. Die Stelle, die Mittwoch nacht feucht und ein bißchen klebrig gewesen war, hatte sich trotz des Waschens weißlich verfärbt. Ich mußte eine Weile rubbeln, ehe es herausging. Es! Ob Nicole sich nach dem Zähneputzen den Mund nicht richtig umgespült hatte? Es mußte Zahncreme sein. Zahncreme und Speichel, was hätte es denn sonst sein sollen?! Da war einmal eine Hose gewesen, eine dunkelblaue Hose vom Sonntagsanzug. Franz hatte ihn samstags getragen, zur Geburtstagsfeier für einen seiner Brüder. Franz hatte den halben Nachmittag mit einer seiner Nichten gespielt, die war damals drei gewesen. Hoppe, hoppe Reiter, wenn er fällt, dann schreit er, fällt er in den Graben, fressen ihn die Raben, fällt er in den Sumpf, dann macht der kleine Reiter plumps. Und als wir dann spätabends heimkamen, setzte Franz sich in den Sessel vor den Spiegel und nahm mich auf den Schoß. Die Hose zog er nicht aus, er machte sie nur auf. Er drang auch nicht in mich ein, spielte nur ein bißchen herum. Das reichte schon für ihn. Und später waren Flecken auf dem Stoff. Ich hatte mich geschämt, als ich die Hose in die Reinigung brachte. Vergiß es, Sigrid, vergiß es doch endlich. Es hat keine Bedeutung mehr, nicht mehr nach so vielen Jahren. Um halb zehn war die Maschine fertig. Vier Paar Socken, die Handtücher, meine Unterwäsche, vier Kinderhöschen mit Punkten in verschiedenen Farben und ein Donnerstag-Höschen. Als ich es sah, hörte ich Günther über das Höschen von Hedwigs Tochter reden, und die Hände begannen mir zu zittern. Ich konnte es zuerst gar nicht festklammern. Verflucht, warum hörte es denn nicht auf? Als ob sich plötzlich jedes Ding in meiner Umgebung vorgenommen hatte, mir ein bestimmtes Bild vor Augen zu halten. Ein Donnerstag-Höschen! Von Nicole konnte es nicht sein. Ihres lag im Schrank, davon war ich überzeugt. Das war vergangene Woche in der Wäsche gewesen. Ich hatte es doch am Freitag selbst noch auf dem Ständer gesehen. Ganz ruhig, Sigrid, ganz ruhig, es ist alles völlig harmlos. Zahncreme und Speichel auf einem Pullover. Es gibt für alles eine logische Erklärung. Das Höschen muß Denise gehören. Sie haben sich wieder einmal aushelfen müssen. Oder Nicole hat sich morgens in der Eile vergriffen. Du glaubst doch nicht wirklich, du könntest in deinem Keller etwas finden, das einmal Hedwigs Tochter gehört hat? Nein, das glaubte ich nicht, nicht wirklich jedenfalls. Das Freitag-Höschen war bislang nicht wieder aufgetaucht. Vielleicht lag das jetzt im Wäschekorb von Frau Kolling, oder es lag unter Nicoles Bett, darunter fand ich auch oft einzelne Strümpfe. Um halb elf lag ich dann selbst auf der Couch, die Augen so schwer und trocken, daß ich sie nicht mehr offen halten konnte. Morgens bemerkte ich, daß ich vergessen hatte, meine Tür abzuschließen.
    Auch den Dienstag über war ich so ruhig wie lange nicht mehr. Ich dachte ein paarmal an Herrn Genardy, daß er das Haus doch sehr früh verlassen hatte. Und nicht nur am Montag. Er mußte auch in der vergangenen Woche

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