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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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immer so früh losgefahren sein, daß ich nichts davon mitbekommen hatte, wie er das Haus verließ. Mit dem Auto fuhr man bis Köln eine Stunde, kam wohl darauf an, wohin man wollte. Eine Stunde bei starkem Verkehr und einem Ziel in der Innenstadt. Wo ist denn die Oberpostdirektion? Und wann fängt für einen Beamten der Dienst an, um acht oder um neun? Abends schaute ich in der Garage nach. Den zweiten Schlüssel hatte ich behalten. Sein Auto war nicht da. Es konnte alle möglichen Gründe haben. Am wahrscheinlichsten war noch, daß er mit der Renovierung fertig war und jetzt im Haus seines Sohnes abwartete, bis die neue Einrichtung geliefert wurde. Aber das glaubte ich nicht. Ich glaubte, daß Günther ihn verscheucht hatte. Und mittwochs wieder mein freier Tag. Nicole ging zur gewohnten Zeit zur Schule, da war ich noch im Morgenrock. Mir war nach Trödeln, ein ausgedehntes Frühstück. Danach ein bißchen Hausarbeit. Unter Nicoles Bett fischte ich zwei einzelne Strümpfe und ein vollgeschriebenes Schulheft hervor, kein Höschen. Dann mußte es bei Frau Kolling sein. Anschließend unter die Dusche, noch eine halbe Stunde vor dem Spiegel. Wann hatte ich mir da zuletzt so viel Zeit genommen? Lippenstift und Lidschatten, eine Handvoll Schaumfestiger ins Haar und den Fön nur auf der kleinsten Stufe. Danach gefiel ich mir sehr gut. Dann in die Stadt. Ein paar Einkäufe. Mir war immer noch nach Bummeln. Ich fühlte mich wie ein Mensch ohne jede Verpflichtung, ohne Verantwortung, ohne Furcht, ganz frei und sorglos. Nur ganz tief innen war so ein leichtes Zittern – Mach dir bloß keine falschen Hoffnungen, Sigrid. Er hat einen Mietvertrag, er kommt zurück! – Ich wollte das Zittern auf gar keinen Fall hochsteigen, mir nicht wieder die gute Laune davon verderben lassen. Nicht an Hedwig denken jetzt, das hatte Zeit bis morgen. Und nicht an Hedwigs Tochter, der konnte kein Mensch mehr helfen. Es war schlimm, es war furchtbar, es war tragisch, es war grauenhaft, aber es war ein fremdes Kind. Kurz vor elf ging ich zu Anke. Ich hatte ihr eine Kleinigkeit für das Baby gekauft. Anke schüttelte den Kopf, als ich ihr das Päckchen gab.
    »Das ist aber das erste und das letzte Mal«, erklärte sie bestimmt.
    »Ich habe dir Nicoles Betreuung nicht angeboten, um damit ein paar Mark nebenher zu verdienen. Ich tu es gern, auf diese Weise habe ich hier wenigstens mal jemanden um mich, mit dem ich über andere Dinge reden kann als nasse Windeln oder Herrn Genardy.« Anke ereiferte sich darüber, daß Mutter gar kein anderes Thema mehr hatte.
    »Die ist völlig hinüber«, sagte sie,»allmählich geht mir das auf die Nerven. Montag hat sie mir geschlagene zwei Stunden lang erklärt, daß der arme Mensch ohne die ordnende Hand einer Frau in seinem Leben völlig aufgeschmissen ist. Er hatte wohl sonntags ein älteres Hemd an, was? Jetzt befürchtet Mutter, daß er auch zum Dienst ältere Hemden anziehen und sich damit seine Laufbahn ruinieren könnte. Außerdem hat sie mir von seinem Sohn vorgeschwärmt, ein Starfotograf für Versandhauskataloge. Im Geist hat sie Mara wohl schon bei Quelle oder Neckermann gesehen. Da habe ich aber auch noch ein Wörtchen mitzureden. Paß nur auf, Sigrid, die macht ihre Drohung wahr und nistet sich bei dir ein, wenn ich im Krankenhaus liege. Und wenn ich mich nicht irre, wird das verdammt bald sein.« Anke rieb sich den Rücken.
    »Ich habe seit ein paar Tagen schon so ein blödes Ziehen im Kreuz. Das gefällt mir nicht, ich habe doch noch ein paar Wochen Zeit.« Und weiter zu Frau Kolling. Sie hatte sich bereits eigene Gedanken gemacht über die Zeit, in der sie Nicole betreuen sollte. Fünfzig Mark für die Woche, mehr wollte sie auf gar keinen Fall. Wie Frau Kolling das ausdrückte, klang es nach einem Kleckerbetrag. Aber ich mochte nicht mit ihr handeln. Das Telefon wollte ich trotzdem beantragen. Es würde ja ein Weilchen dauern, ehe es dann angeschlossen wurde. Außerdem, wenn ich hundertfünfzig Mark mehr an Miete bekam, blieben mir vom Mai noch sechzig Mark übrig. Fünfzig bekam Frau Kolling, vierzig hatte der Pullover für Nicole gekostet. Und fünfundsechzig würde der Telefonanschluß kosten. Es kam fast genau hin.
    »Wie ist das eigentlich nachmittags?« fragte Frau Kolling.
    »Ich kann die beiden ja hier nicht festbinden. Und wenn sie mir sagen, sie gehen auf den Spielplatz, dann renne ich auch nicht immer hinterher, um zu kontrollieren. Denise sagte, Sie hätten verboten, daß die beiden

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