Der stille Herr Genardy
bei Ihnen im Haus spielen. Haben sie was kaputtgemacht?«
»Nein«, sagte ich und erzählte ihr von Hedwigs Tochter.
»Aber das ist doch ganz was anderes, sie sind doch zu zweit«, meinte Frau Kolling.
»Und sie sind schon so vernünftig.« Vernünftig, das hatte Hedwig von ihrer Tochter auch immer behauptet.
»Ich hatte übrigens wieder ein Höschen von Denise in der Wäsche«, sagte ich.
»Es war noch nicht ganz trocken, sonst hätte ich es mitgebracht.« Frau Kolling winkte ab, sie hatte es noch gar nicht vermißt.
»Und Sie müssen eins von Nicole hier haben, das vom Freitag.« Frau Kolling schürzte die Lippen und hob die Schultern.
»Ich gebe es Nicole mit, wenn ich gewaschen habe.« Auf der Sparkasse dann eine herbe Enttäuschung. Die Miete war noch nicht auf dem Konto gutgeschrieben. Frau Humperts hatte immer ein paar Tage vor dem Ersten überwiesen. Leider hatte ich versäumt, mit Herrn Genardy die gleiche Vereinbarung zu treffen. Aber ich rechnete fest damit, daß das Geld nach dem Ersten auf dem Konto sein würde. Dann mußte es auch da sein, weil die Hypothekenzinsen abgebucht wurden. Mein Lohn war glücklicherweise da; ich nahm vorsichtshalber nicht das Geld für den ganzen Monat mit, sondern nur vierhundert Mark. Am Nachmittag kam Günther vorbei. Wir waren allein. Nicole hatte nur in aller Eile zu Mittag gegessen, ihre Schularbeiten erledigt, dann war sie auch bereits zu Denise gelaufen. Sie war so schnell verschwunden, daß ich ihr das Donnerstag-Höschen nicht hatte mitgeben können. Zuerst war Günther noch durchaus guter Laune. Er begrüßte mich mit den Worten:
»Der Gärtner, gnädige Frau.« Dann lachte er.
»Ich dachte mir, kümmere dich mal um ihren Rasen, sonst können wir da bald Heu mähen.« Er hatte wieder »wir« gesagt; das Wochenende hatte eine Menge verändert. Günther holte sich den Rasenmäher aus dem Keller und war damit eine Weile beschäftigt. Als er dann wieder hereinkam, machte ich uns Kaffee. Und plötzlich schlug die gute Stimmung um. Günther holte seine Jacke, die er im Wohnzimmer abgelegt hatte, zog aus der Innentasche eine Zeitung heraus und legte sie mir aufgeschlagen vor. Dabei sagte er:
»Sie haben ihn.« Er ließ mir Zeit, in aller Ruhe den Artikel zu lesen. Die Polizei hatte einen jungen Mann verhaftet, einen Studenten, unter dringendem Tatverdacht. Ein Name war nicht genannt, auch keine Abkürzung, wie sonst üblich. Dafür hieß es: Die Ermittlungen seien soweit abgeschlossen. Der Student wäre dem Haftrichter bereits vorgeführt worden. Günther wußte noch einiges mehr. Nachdem ich gelesen hatte, erzählte er. Es hatte sich gleich nach der Vermißtenanzeige eine Frau bei der Polizei gemeldet, die Hedwigs Tochter häufig gesehen hatte, vor dem Haus, in dem sie wohnte. Im Erdgeschoß dieses Hauses war eine Tierhandlung, dort hatte Nadine Otten häufig vor dem Schaufenster gestanden. Andere Hausbewohner hatten das bestätigt, ein älteres Ehepaar, der Hausbesitzer selbst und ein älterer Mann. Nur der Student hatte behauptet, das Kind noch nie gesehen zu haben.
»Da hat er nicht überlegt«, meinte Günther.
»Wenn er das gleiche behauptet hätte wie seine Nachbarn, wäre man wahrscheinlich gar nicht so schnell auf ihn gekommen.« Nachdem das Kind dann gefunden worden war, hatte die Polizei die Leute im Haus alle noch einmal vernommen. Bis auf den älteren Herrn, der war zu Besuch bei seiner Tochter in Norddeutschland, wie die Polizei von der Nachbarin erfuhr. Aber anscheinend war der Mann auch gar nicht weiter von Bedeutung, obwohl in der Ausgabe von Freitag von einem
»wichtigen Zeugen« die Rede gewesen war. Er sollte nur bei Gelegenheit seine erste Aussage unterschreiben. Ausschlaggebend für die Verhaftung des Studenten waren die Beobachtungen des Ehepaares gewesen. Denen war das Kind verschiedentlich aufgefallen, im Treppenhaus und auf dem Weg nach oben. Der Student hatte eine Mansarde unter dem Dach gemietet. Und die Polizei hatte ihm auf den Kopf zugesagt, daß er log. Sie hatten ihm die Bude auseinandergenommen, wie Günther es ausdrückte, und etliches an Beweisen gefunden. Inzwischen hatten sie ihn auch soweit, daß er zugab, das Kind gekannt zu haben. Er hätte das Mädchen zweimal mit zu sich hinaufgenommen, behauptete er. Wann genau das war, wußte er angeblich nicht mehr, es sei jedenfalls schon eine Weile her. Und er hätte Nadine Otten auch nur ein bißchen Nachhilfe gegeben. Offiziell gab er nämlich Nachhilfeunterricht. Nadine Otten
Weitere Kostenlose Bücher