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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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hätte ihn nicht bezahlen können, und er verdiene mit der Nachhilfe schließlich seinen Lebensunterhalt. Das hätte er ihr gesagt, daraufhin wäre sie nicht mehr gekommen. In letzter Zeit wollte er sie nicht mehr gesehen haben.
    »Und du meinst, er lügt?« fragte ich.
    »Ich meine gar nichts«, erklärte Günther bestimmt,»ich halte mich an Fakten.« Er lachte einmal kurz auf.
    »Ich habe dir doch gesagt, sie haben bei dem Kind etwas gefunden, erinnerst du dich? Ein paar Pillen haben sie gefunden. Irgend so ein verfluchtes Zeug, das man neuerdings in Diskotheken und auf Schulhöfen verkauft. Ist billiger als Heroin, aber genauso wirkungsvoll. Die Zutaten kann man sich überall besorgen, dann braucht man nur noch ein paar Kenntnisse in Chemie.« Er stieß die Luft aus, schüttelte den Kopf, sprach in etwas gemäßigterem Ton weiter:
    »Begreifst du nicht? Der angebliche Student ist ein Dealer, ein mieser kleiner Rauschgifthändler, der Schulkinder benutzte, um seinen Stoff gefahrlos an Schulkinder zu verhökern. Er gab ihnen ein paar Mark, und sie spielten für ihn die Kuriere. Es muß bei ihm zugegangen sein wie in einem Taubenschlag. Nadine Otten war nicht die einzige, aber anscheinend die Jüngste. Als sie ihm gefährlich wurde, hat er sie sich vom Hals geschafft.« Ein paar Mark, dachte ich, Geld für eine Armbanduhr, für ein billiges Plastikding und all die anderen Kleinigkeiten, die Hedwig aufgefallen waren. Günther schwieg sekundenlang, schaute mich nachdenklich an.
    »Es muß deiner Kollegin doch eigentlich aufgefallen sein, daß das Kind plötzlich über eine Menge Geld verfügte. Nach Ansicht der Polizei hat es mindestens zweimal in der Woche die Botengänge für ihn erledigt. Es hatte fünfzig Mark in der Jackentasche, als sie es fanden.«
    »Sie hatte gar keine Jacke bei sich«, widersprach ich,»ihr Anorak hängt bei Hedwig im Flur.« Zuerst runzelte Günther die Stirn, dann schüttelte er den Kopf.
    »Dann waren es wohl mehr als ein paar Mark. Nadine Otten trug eine neue Jacke, Sigrid, und keine von der billigen Sorte. Eine neue Jacke, eine neue Jeans und einen Pullover.«
    »Die Jeans hatte Hedwig ihr vor ein paar Wochen gekauft.«
    »Trotzdem«, sagte Günther. Er sprach nicht gleich weiter, schaute mich immer noch so nachdenklich an.
    »Hältst du mich für ein Schwein, wenn ich dich um etwas bitte?« Ich schüttelte den Kopf, und er lächelte.
    »Nicht so voreilig. Du weißt ja noch nicht, was kommt,« Wieder machte er eine kurze Pause, schaute in seinen Kaffee und seufzte.
    »Dettov ist ein netter Kerl«, erklärte er,»er schreibt gut, und er würde gerne etwas über die Hintergründe schreiben. Soziales Elend, so in die Richtung. An solch einem Fall kann man doch wieder einmal zeigen, wie der Staat alleinerziehende Mütter im Stich läßt. Jedes Kind hat ein Recht auf Leben! Abtreibung ist Mord! Keine Frau darf sich anmaßen, über den eigenen Bauch zu bestimmen. Und was tun sie für die Kinder, die bereits da sind? Da können die Frauen dann zusehen, wie sie alleine damit zurechtkommen. Aber Dettov möchte nirgendwo mit der Tür ins Haus fallen, wenn du verstehst, nicht Leute belästigen, die das im Moment nicht verkraften.« Jetzt verstand ich, worum er mich bitten wollte. Er hätte gar nicht weiterreden müssen, aber ich ließ ihn. Wie oft hatte er mich so zappeln lassen.
    »Du kennst doch die Mutter gut«, fuhr er fort. Er schaute immer noch in seinen Kaffee.
    »Frag sie mal, ob sie bereit ist, mit einem jungen Reporter über ihre Situation zu reden. Wenn du sie fragst, ist es nicht so aufdringlich.« Dann seufzte er nachdrücklich.
    »Tust du mir den Gefallen?«
    »Mach’ ich«, versprach ich ihm. Und als ich es sagte, sah ich Hedwig so vor mir, wie ich sie in all den Jahren gesehen hatte. Ungefähr meine Größe, ein bißchen kräftiger als ich, manchmal die Sorgen im Gesicht, meist jedoch die Entschlossenheit. Aber so war Hedwig nicht mehr.
    Ich fuhr donnerstags wie sonst auch mit dem Zug nach Köln, besorgte am Bahnhof noch einen Blumenstrauß, ging ganz normal ins Geschäft, nur daß ich unter dem hellen Mantel nicht für die Arbeit angezogen war. Das schwarze Kostüm hatte ich zuletzt vor sechs Jahren getragen. Es war mir etwas weit geworden, aber wen störte das. Der Abteilungsleiter kam ebenfalls im dunklen Anzug und mit Blumen. Er wollte nicht zu früh aufbrechen, damit wir nicht vor der Leichenhalle herumstehen mußten. Wir stellten unsere Blumen bis halb zehn ins Wasser. Bevor

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