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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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nichts mehr schuldig. Es war mein Recht, mich als Frau zu fühlen.
    Kurz nach vier kamen Nicole und Denise. Sie wollten eigentlich nur das kleine Köfferchen holen, in dem Nicole die Kleider und Möbel der Barbie-Puppe aufbewahrte. Sie kamen kurz hinaus auf die Terrasse, um Bescheid zu sagen, daß sie nicht bleiben konnten. Aber es war noch ein Stück Sahnetorte übrig, und Denise bekam ganz hungrige Augen. Auch bei Nicole meldete sich aus lauter Sympathie augenblicklich der Appetit. Sie verzogen sich mit dem Stück in die Küche, teilten es dort, die dünne Spitze für Nicole, den Rest für Denise. Dann verhandelten sie eine Weile, ob sie nun hierbleiben oder wieder gehen sollten. Denise wollte heimgehen und dort weiterspielen. Nicole erinnerte an die kleinen Brüder und das größere Stück vom Kuchen und setzte sich damit durch. Sie kamen wieder hinaus, nahmen Mara mit hinunter in den Garten. Denise setzte sich auf die Schaukel, nahm Mara auf den Schoß, schlang beide Arme um die Seile und hielt Mara mit den Händen fest. Denise trug ein kurzes Röckchen, keine Strümpfe, hatte die nackten Füße in Sandalen gesteckt. Auf ihrem rechten Knie klebte ein großes Pflaster, auf dem Oberschenkel war eine rote Schramme zu erkennen. Nicole stellte sich hinter die Schaukel und gab dem Holzbrett einen Schubs. Alles so friedlich. Kaninchen, dachte ich, es sind gar keine Kaninchen da. Es kam zurück, ich konnte nichts dagegen tun. Ich spürte, wie meine Hände zu zittern begannen, hatte plötzlich das Bild aus der Zeitung im Kopf. Die Gartenlaube, aber ich sah sie nicht schwarz-weiß, ich sah sie in Farbe. Graugebleichte Holzbretter, das schiefhängende Dach aus Teerpappe. So viel Grün drum herum. Und dann ein Stück Rasen, der nackte Beton der Garageneinfahrt, mit Kreide gezeichnete Kästchen darauf. Ein Kinderreim. Hüpfen auf einem Bein, daß das Röckchen nur so flog. Jetzt flog es auch, aber nur an den Rändern. Maras Kleidchen bauschte sich auf. Wenn es wärmer wird, dachte ich, zieht man den Kindern keine dicken Strumpfhosen mehr an. 
    Da stellt man vielleicht ein Wasserbecken in den Garten und läßt so ein Kleines darin spielen. Ohne Windeln natürlich. Reiß dich doch zusammen, Sigrid, du willst das doch gar nicht denken. Mara jauchzte, als die Schaukel mehr Schwung bekam. Herr Genardy schaute mit entzücktem Lächeln in den Garten hinunter und unterhielt sich mit Mutter über Kinder, die sich noch für Kleinigkeiten begeistern konnten. So viel Grün drum herum. Franz hatte gleich nach unserem Einzug kleine, schlanke Bäumchen gepflanzt, eins neben das andere, direkt auf die Grundstücksgrenze. Inzwischen standen sie mannshoch und so dicht, daß man von den Nachbarn nichts mehr sah. Mara lachte hellauf, hatte die Augen weitaufgerissen. Kinder mögen das, mußte ich denken, wenn sie fliegen. Nicole hatte das auch immer gemocht, und jetzt mochte sie Pferde. Franz hatte vor Jahren eine andere Schaukel aufgehängt, ein Körbchen, in das man ein kleines Kind hineinsetzen konnte. Als Nicole dann größer wurde, hatte Norbert den Korb gegen ein Brett ausgetauscht. Aber die Seile waren immer noch die gleichen, seit Jahr und Tag bei Wind und Wetter im Freien. Reichte ein Pony? Es gab Ponys, irgendwo in der Nähe. Ich wußte nicht, wo, aber ich sah es ganz deutlich vor mir. Ein Feldweg, eine Weide, eine Tränke darauf und Ponys, sechs oder sieben, auch Fohlen. Wo hatte ich das gesehen? Und wann? Gar nicht! Es wäre besser, du sagst deiner Mutter, wenn dich einer anfaßt. Ein Höschen mit blauen Blumen auf graugewaschener Baumwolle, die Beinränder waren vom vielen Waschen geweitet. Und wo hatte ich das gesehen? Auf meiner Leine natürlich. Aber es gehörte nicht Nicole. Manchmal, wenn sie spielten und für sonst nichts Zeit hatten, wenn sie auf die allerletzte Minute zum Klo rannten, gingen ein paar Tröpfchen in die Hose. Und manchmal fielen sie in den Dreck, und das Hinterteil war schmutzig. Dann wurde eben ein frisches aus dem Schrank genommen, der einem gerade am nächsten war. Ein Höschen mit blauen Blumen und grünen Blättern an den Stielen. Ich sah es ganz deutlich vor mir. Mir war danach, den Kopf zu schütteln. Zu hören war überhaupt nichts, als das vordere Seil der Schaukel riß. Ich war mit meinen Gedanken immer noch auf der Weide. Es gab keinen Knacks, kein Knirschen. Die beiden Kinder lagen plötzlich im Gras. Mara brüllte gleich los, mehr wohl vor Schreck. Verletzt haben konnte sie sich nicht. Denise

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