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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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hatte anscheinend versucht, den Sturz abzufangen. Sie lag unten, hielt Mara mit einem Arm umklammert, ein Stück vom Seil noch in der Armbeuge. Das Holzbrett war ihr gegen den Oberschenkel geschlagen. Mara lag auf dem Bauch. Mutter stürzte die Stufen hinunter, stolperte selbst und fing sich wieder. Auch Herr Genardy stand auf, aber er blieb auf der Terrasse. Auf Mutters Arm beruhigte Mara sich • rasch wieder. Ihr Kleidchen hatte ein paar Grasflecke abbekommen, die weißen Kniestrümpfe waren schmutzig, sonst war sie völlig in Ordnung. Und Denise saß immer noch im Gras, rieb sich ihren linken Knöchel, beäugte die Schramme am Oberschenkel, wischte mit einer Hand ein paar Blutstropfen weg. Nicole griff unter ihre Achsel und wollte ihr beim Aufstehen helfen. Aber Denise sackte gleich wieder zurück. Ich wollte zu ihr gehen, auch Günther richtete sich auf. Herr Genardy kam uns zuvor.
    »Hast du dich verletzt?« rief er und ging auch gleich los. Er hockte sich neben Denise ins Gras, betastete den Knöchel. Erst den linken, dann den rechten, dann schob er ihren Rock in die Höhe. Er sagte etwas zu ihr, ich verstand es nicht, sah nur, daß Denise den Kopf schüttelte. Hinter mir sprach Mutter auf Mara ein, die daraufhin wieder leise zu jammern begann. Herr Genardy richtete sich auf und nahm Denise auf die Arme. Ganz recht war es ihr nicht, das sah ich ihrem Gesicht an. Herr Genardy kam mit ihr die Stufen hinauf. Denise schaute mich an, irgendwie erbarmungswürdig.
    »Es ist überhaupt nicht schlimm«, sagte sie, »es hat nur im Moment ein bißchen weh getan.« Und Günther betrachtete sie mit gerunzelter Stirn, warf mir einen merkwürdigen Blick zu. Als Herr Genardy sich setzen wollte, Denise immer noch auf den Armen, nahm Günther sie ihm ab. Er stellte sie vorsichtig auf ihre Füße, hielt sie am Arm, fragte:
    »Geht es wieder?« Denise nickte eifrig und lächelte schüchtern zu ihm hoch. Günther lächelte ebenfalls.
    »Wir tun ein Pflaster aufs Bein. Es blutet ja.« Und Denise schüttelte heftig den Kopf.
    »Ich brauche kein Pflaster. Es blutet nur ein bißchen.« Sie humpelte ein wenig, als sie zurück in den Garten ging, um sich dort das gerissene Seil anzusehen.
    »Gebrochen ist der Knöchel nicht«, erklärte Herr Genardy.
    »Aber am Bein hatte sie sich gestern schon verletzt, an der gleichen Stelle. Man sollte es ihr schon verbinden. Damit sich die Wunde nicht infiziert.« Ich war mir nicht sicher, zu wem er es sagte. Antwort bekam er von Günther.
    »Wozu«, sagte Günther lakonisch,»wenn sie nicht will.« Mara jammerte immer noch. Sie war anscheinend müde, rieb sich die Augen. Notgedrungen mußte Mutter sich verabschieden. Es gefiel ihr nicht, das war offensichtlich. Sie schimpfte sogar mit Mara.
    »Jetzt ist aber genug geweint, du hast dir doch gar nicht weh getan.« Wahrscheinlich hätte sie sich gerne noch länger mit Herrn Genardy unterhalten. Er ging zusammen mit Mutter in die Diele. Verabschiedete sich dort von ihr mit einem Händedruck, strich Mara einmal über die Wange. Bei mir bedankte er sich für Kaffee, Kuchen und den unterhaltsamen Nachmittag. Während er die Treppen hinaufstieg, brachte ich Mutter zur Haustür, dann ging ich wieder hinaus auf die Terrasse. Dort saß inzwischen Denise in Mutters Sessel, den linken Fuß auf dem Tisch. Günther stand darüber gebeugt und betastete vorsichtig die leichte Schwellung, die sich über dem Knöchel gebildet hatte. Nicole schaute fasziniert zu und betupfte gleichzeitig die immer noch blutende Schramme an Denises Oberschenkel mit einem Papiertuch.
    »Wir sollten den Fuß kühlen«, sagte Günther zu mir,»holst du eine Schüssel, kaltes Wasser und ein Tuch? Bring auch ein Heftpflaster mit. Das kann Nicole schon aufkleben.« Er richtete sich auf, schaute Denise an und meinte beruhigend:
    »Keine Sorge, das kriegen wir wieder hin. In einer Stunde hüpfst du damit wie ein Hase.« Dann hob er die Stimme, nicht nur die, auch den Blick nach oben zum Balkongeländer.
    »Und wenn dir noch mal einer helfen will«, sagte er,»und du willst es nicht, dann sagst du einfach, nein danke, ich kann es allein. Oder, ich möchte es nicht. Das darf man, auch wenn es einer nur gut meint. Ich mag mich auch nicht von jedem Menschen anfassen lassen.« Ich schaute ganz unwillkürlich ebenfalls hinauf. Die Balkontür stand wohl immer noch offen. Es war nichts zu sehen oder zu hören. Um sieben fuhr Günther Denise rasch nach Hause, weil sie beim Auftreten immer noch

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