Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
Vom Netzwerk:
Schmerzen hatte. Nicole wollte unbedingt mit. Ich machte in der Zeit Abendbrot. Und später saßen wir im Wohnzimmer, Nicole schlief. Es war ganz still im Haus.
    »Du magst ihn nicht«, stellte ich fest. Günther zuckte mit den Achseln.
    »Muß ich ihn mögen?« fragte er. Und nach einer Weile fügte er hinzu:
    »Er hat mir ein bißchen zuviel von seinen Enkeln und seinem Sohn geschwärmt. Aber als deine Mutter ihn nach Fotos fragte, mußte er passen.«
    »Er hat ja noch nicht alle Sachen hier«, sagte ich. Günther schwieg sekundenlang dazu, dann erklärte er:
    »Er hatte eine Brieftasche im Jackett. Ich habe immer einen ganzen Packen Fotos in der Brieftasche. Aber was soll’s, Hauptsache, er zahlt gut, und du kommst mit ihm klar.«
    Montags erwachte ich kurz vor fünf von einem lauten Klirren in der Diele. Da war etwas zu Bruch gegangen. Ich hörte einen undeutlichen Fluch, mehr nur ein Murmeln. Schritte die Treppe hinauf und wieder hinunter. Jetzt fegte er die Scherben auf ein Kehrblech. Und wenig später verließ er das Haus. Die Tür schloß er nicht gleich hinter sich. Ich hörte ihn über die Steinplatten zur Garage gehen. Er kam noch einmal zurück, holte anscheinend noch etwas aus der Wohnung, kurz darauf wurde oben die Tür abgeschlossen. Und wieder die Schritte auf der Treppe und in der Diele. Als er das Haus diesmal verließ, hörte ich auch, daß er die Haustür hinter sich zuzog und sogar einmal abschloß. Ich hatte den Rolladen nicht ganz hinuntergelassen, und die Couch stand direkt unter dem Fenster. Ich mußte mich nur aufrichten, um hinaussehen zu können. Herr Genardy kam am Fenster vorbei. Er trug den Anzug. Wieder den braunen Anzug. Er wird doch wohl mehr haben als nur den einen! Natürlich hat er noch mehr Anzüge, Sigrid, die anderen sind noch im Haus seines Sohnes! In einer Hand trug er die Aktentasche und eine halbgefüllte Plastiktüte; sah aus, als ob er darin ein paar Kleidungsstücke transportierte – den Blaumann, was sonst, und das karierte Hemd! Ist er mit der Renovierung endlich fertig und bringt die Sachen nur in die Wäscherei, oder zieht er sie gleich irgendwo an, hängt den Anzug solange ins Spind? Ein Fabrikarbeiter fährt zur Arbeit! Spinn doch nicht rum, Sigrid. Mach dich nicht wieder selbst verrückt. Mit der anderen Hand drückte Herr Genardy sich einen nicht übermäßig großen Karton gegen die Brust. Der Karton war oben offen. Ich sah ein bißchen Zeitungspapier, in das offenbar ein Teller eingewickelt war, und die Henkel von zwei Tassen über den Rand hinausragen. Wenig später wurde in der Garage der Motor gestartet. Dann fuhr er weg. In seinem alten, erinnerungsbeladenen Auto. Ich fühlte mich ganz leicht. So hatte ich mich früher immer am Sonntagmorgen gefühlt, wenn ich wußte, jetzt lag eine ganze Woche vor mir. Eine Woche, in der Franz abends müde von der Arbeit kam, in der er sich nachts neben mich ins Bett legte. Schlaf gut, Siggi. Und dabei den Arm schon nach der Lampe ausstreckte. Es blieb den ganzen Tag so. Das Wochenende hatte mir gutgetan. An Franz dachte ich kaum einmal, dafür um so mehr an Hedwigs Tochter und ihren noch gesichtslosen Mörder. Ich hatte mir morgens am Bahnhof eine Zeitung gekauft, aber da stand nichts von einer Verhaftung. Nur von einem Verdacht war die Rede und von einem wichtigen Zeugen, der dringend gebeten wurde, sich bei der Polizei zu melden. Arme Hedwig. In der Mittagspause fragte mich der Abteilungsleiter, ob ich zur Beerdigung gehen wolle. Die sei am Donnerstag morgen um zehn, und es wäre sicher gut, wenn sich jemand von uns dort sehen ließe. Er selbst wollte auch hingehen. Er könne mich in seinem Wagen mitnehmen, sagte er. Wo ich doch mit Hedwig befreundet sei, vielleicht könne ich ihr ein bißchen beistehen. Das glaubte ich nun weniger, aber hingehen wollte ich. Abends war ich zwar müde, aber sonst fühlte ich mich völlig in Ordnung. Eine knappe halbe Stunde war ich allein im Haus, ehe Nicole kam. Es war alles still in der Zeit, aber es störte mich nicht. Er ist nicht da, Sigrid. Du hast das ganz richtig eingeschätzt heute morgen. Er hat seinen Kram zusammengepackt und ist jetzt wieder dort, wo er auch vorher war. Nicole hatte schon bei Anke zu Abend gegessen. Während ich aß, saß sie bei mir in der Küche und erzählte, wie sie es sonst auch oft tat. Sie war nach den Schularbeiten zu den Kollings gegangen, aber nicht sehr lange geblieben, weil Frau Kolling mit Denise zum Arzt gehen wollte. Der Kratzer am

Weitere Kostenlose Bücher