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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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erzählen, daß der Tod einen braunen Umhang trug. Nicht ganz braun, mehr olivgrün und innen warm gefüttert, mit einer Kapuze auf den Schultern. Wenn dir kalt ist, kannst du meine Jacke umhängen. Mir war nicht kalt, ich schwitzte, hetzte über die Straßenkreuzung und wußte, ich würde zu spät kommen. Franz hatte sie zu sich ins Bett genommen. Sie schlief fest, spürte gar nicht, was er ihr antat. Und während ich noch lief, riß er ihr das Höschen herunter, riß alles kaputt. Nach gut einer Stunde wollte der Abteilungsleiter zurück ins Geschäft. Es war ja schon fast Mittag. Er sprach mit mir, bevor er Hedwigs Wohnung verließ. Aber ich verstand nur die Hälfte. Daß er mir den Nachmittag als Urlaub anrechnen wollte, weil ich unmöglich in diesem Zustand arbeiten könne. Ich war gar nicht in einem Zustand. Ich war überhaupt nicht da. Ich war nie da, wenn es darauf ankam. Immer kam ich drei Tage zu früh. Daß ich mir ein Taxi nehmen sollte, wenigstens bis zum Bahnhof, damit ich nicht am Ende in einem Straßenbahndepot ankäme. Ich kam auch nie irgendwo an. Nur konnte der Abteilungsleiter das nicht wissen. Wie hätte er auch ahnen sollen, daß ich ständig Gedanken hinterherjagte, die von wer weiß wo kamen und mir einfach so durch den Kopf fuhren. Ich nickte zu allem, was er vorschlug. Ich konnte mir kein Taxi leisten, aber ich konnte laufen. Ich konnte sehr schnell laufen, so schnell, daß ich einmal rechtzeitig ankam. Und ich konnte auf Leitern steigen, wenn es sein mußte. Ich konnte Fenster einschlagen, durch Balkontüren eindringen. Ich konnte viel, wenn ich wollte und mußte. Ich hätte auch arbeiten können, hinter der Käsetheke, den Laib frischen Holländer mit dem großen Messer teilen, genau in der Mitte durch. Nur einmal zuschlagen. In den Käselaib oder einen Hals. Nur einmal zuschlagen, dann ist es vorbei. Der Polizist versprach, dafür zu sorgen, daß ich heil nach Hause käme. Er war sehr nett, kümmerte sich um Hedwigs Mutter, die unvermittelt zu weinen begann. Hedwig winkte mich währenddessen in den Flur. Sie wollte mir das Zimmer ihrer Tochter zeigen. Und ich mußte ihr das Geld noch geben, mußte sie noch fragen, ob sie bereit sei, mit Hans Werner Dettov zu reden. Ein lieber Kerl, gar nicht aufdringlich, er wollte nicht mit der Tür ins Haus fallen. Niemand wollte das. Nur Herr Genardy war gleich eingezogen. Warum eigentlich? Aber seit Montag war er nicht mehr da. Warum nicht? Ich hatte Günther gar nicht gefragt, ob der Student ein Kaninchen hatte. Er hatte vermutlich keins, es gab überhaupt keine Kaninchen mehr. Als wir dann im Zimmer von Nadine standen, beugte Hedwig sich ganz nahe zu mir und flüsterte:
    »Ich kann es keinem Menschen sagen, Sigrid, nur dir. Du weißt ja, wie das ist. Jede Nacht steht sie neben meinem Bett. Immer fragt sie mich, wo ich war. Und nie weiß ich, was ich ihr antworten soll. Was soll ich ihr denn sagen?« Ich wußte es auch nicht. Aber dann fiel mir doch etwas ein.
    »Sag ihr, sie soll zu mir kommen. Mir kann sie alles erzählen, ich werde ihr helfen. Ich werde ihr bestimmt helfen. Sag ihr das.« Hedwig nickte eifrig. Wir gingen wieder zurück ins Wohnzimmer. Der Polizist sorgte dafür, daß Hedwig ein halbes Brötchen aß. Inzwischen wußte ich, daß er Polizist war, von der Kripo. Hedwigs Mutter hatte es mir gesagt. Aber er sei nicht dienstlich hier, hatte sie erklärt. Er habe mit dem Fall direkt nichts mehr zu tun, komme jedoch häufig vorbei und kümmere sich darum, daß Hedwig keine Dummheiten mache. Er habe auch dafür gesorgt, daß keine Kinder zur Beerdigung kamen. Hedwig könne keine Kinder mehr sehen. Sie selbst würde jetzt ein paar Tage bleiben, bis Samstag auf jeden Fall. Der Polizist habe ihr gesagt, es sei nicht schwer mit Hedwig. Man müsse sie nur im Auge behalten und dafür sorgen, daß sie ab und zu etwas esse. Er war wirklich sehr nett. Obwohl es mir inzwischen erheblich besser ging, brachte er mich nicht nur zum Bahnhof. Er fuhr mich heim, vielleicht nicht ganz uneigennützig. Er fragte sehr viel. Wie lange ich Hedwig schon kannte? Ob ich ihre Tochter gekannt hatte? Was mir auf dem Friedhof durch den Kopf gegangen war?
    »Eine Menge Unsinn«, antwortete ich.
    »Ich habe auch eine Tochter. Ich bin auch allein mit ihr wie Hedwig. Früher war sie gut versorgt. Ich hatte eine Mieterin, die sich um sie kümmerte. Vor ein paar Tagen ist meine Mieterin ausgezogen. Und manchmal habe ich Angst.«
    »Verstehe ich«, sagte er nur. Ich wußte

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