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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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nicht einmal, wie er hieß, obwohl Hedwigs Mutter mir seinen Namen genannt hatte.
    »Nein«, widersprach ich,»das versteht niemand. Ich verstehe es ja selbst nicht. Es ist bei uns nicht so wie bei Hedwig, bei uns ist alles in Ordnung. Meine Schwester kümmert sich um meine Tochter, wenn ich nicht da bin. Ich müßte mir keine Sorgen mehr machen. Aber ich werde die Angst nicht los. Und ich habe Angst, weil ich Träume habe. Ich träume von einer Uhr, und drei Tage später stirbt jemand.« Ich dachte, wenn ich ihm das sage, läßt er mich in Ruhe. Aber er verzog keine Miene, runzelte nicht die Stirn, wie Günther es getan hatte, zog auch nicht spöttisch die Augenbrauen hoch.
    »Ich verstehe«, sagte er wieder. Es machte mich wütend.
    »Da sind Sie aber die große Ausnahme«, fuhr ich ihn an.
    »Aber wenn Sie das verstehen, vielleicht verstehen Sie auch den Rest. Vielleicht können Sie es mir erklären. Ich habe geträumt. Vor vierzehn Tagen schon. Es ist niemand gestorben.«
    »Nur Hedwigs Tochter«, meinte er, es klang bitter. Ich schüttelte den Kopf und sagte:
    »Die ich kaum kannte. Die zu dem Zeitpunkt auch schon tot war. Sie ist doch donnerstags umgebracht worden. Aber es hätte sonntags passieren und es hätte mein Kind sein müssen. Es waren immer meine: mein Vater, mein Großvater, meine Schulfreundin, mein Mann.« Er schaute mich ganz kurz von der Seite an.
    »Hedwig hat mir davon erzählt«, erklärte er.
    »Aber sie behauptete, es wären auch Leute dabei gewesen, die mit Ihnen persönlich nicht viel zu tun hatten, die Sie nur kannten. Hedwig fragte sich, ob der Braune gekommen war, genauso hat sie es ausgedrückt, der Braune. Hedwig macht sich Vorwürfe, weil sie früher darüber gelacht hat. Sie meint, wenn sie damals nicht gelacht hätte, hätten Sie sie vielleicht gewarnt. Hätten Sie das getan?«
    »Ich wollte mit ihr darüber reden, gleich an dem Freitagmorgen. Aber da war das mit ihrer Tochter schon passiert. Hedwig kam nicht zur Arbeit.«
    »Träumen Sie nur von dem Braunen und der Uhr oder auch andere Sachen, von denen Sie annehmen, daß sie eine Bedeutung haben«, wollte er wissen. Ich wurde immer kleiner neben ihm, kam mir ganz schrumpelig und durchsichtig vor. Wenn er nur in einem anderen Ton darüber gesprochen hätte, spöttisch oder ärgerlich. Aber er sprach darüber wie über Sonnenflecken und schwarze Löcher im All. Alles Dinge, die man noch nie mit eigenen Augen gesehen hat, von denen man trotzdem genau weiß, daß es sie gibt.
    »Auch von anderen Sachen.« Meine Stimme war auch ganz schrumpelig. Er nickte mehrfach hintereinander. Dann bohrte er weiter:
    »Eben auf dem Friedhof, haben Sie da auch geträumt?« Ich schüttelte den Kopf, und es war fast so, als ob ich einen Schwamm voller Seifenlauge ausdrückte. Das meiste Wasser und ein Großteil vom Schaum wurde rausgepreßt. Die Poren im Schwamm konnten sich wieder mit frischer Luft füllen.
    »Es gibt zu viele Spinner«, sagte ich,»zu viele Hellseher, die der Polizei in solchen Fällen gute Ratschläge erteilen wollen. Ich kann nicht hellsehen. Ich bekomme nur Zustände.« Er lachte leise auf.
    »Manchmal bekomme ich die auch. Aber dann führe ich keine Selbstgespräche. Und ich schlage auch nicht nach Leuten, die zufällig neben mir stehen.« Ich wußte nicht, wie er das meinte. Er lachte noch einmal, sehr kurz und leise. Schaute mich wieder von der Seite an und fragte:
    »Können Sie sich nicht erinnern? Das war doch Ihr Chef, oder? Der Mann im dunklen Anzug, der neben Ihnen stand. Wissen Sie nicht mehr, was Sie zu ihm gesagt haben, als er verlangte, Sie sollen sich zusammenreißen?«
    »Ich habe nichts zu ihm gesagt.«
    »Doch, Frau Pelzer, Sie haben. Ich stand ja dabei, ich habe es gehört.«
    »Ich habe nicht laut gesprochen.« Er zuckte mit den Schultern, als wolle er sich für seine Behauptung entschuldigen, aber das wollte er nicht.
    »Sie haben laut und deutlich gesagt: Hör auf zu brüllen, du kleines Biest, und stell dich nicht so an. Dann kam noch etwas, aber das habe ich nicht ganz verstanden. Es ging um Ihre Tochter und um einen Mann, den Ihre Tochter Onkel nannte. Ein Mann, vor dem Sie selbst sich fürchten. Also ich hatte den Eindruck, daß Sie sich auf dem Friedhof mit diesem Mann herumschlagen mußten, daß Sie vielleicht befürchten, er würde Ihrer Tochter etwas antun.«

DRITTER TEIL
    Der Polizist hieß Beer, Wolfgang Beer. Er erzählte eine Menge Unsinn, und er war hartnäckig. Er ließ mich nicht einfach

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