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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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knapp.
    »Mein neuer Mieter«, sagte ich und dachte, ich würde unter dem Sack ersticken. Er war zurückgekommen. Warum auch nicht, immerhin hatte er die Wohnung von mir gemietet. Es war sein gutes Recht, hier zu sein. Daß er davon drei Tage lang keinen Gebrauch gemacht hatte, mochte tausend Gründe haben, die mich nichts angingen.
    »Möchten Sie ihn kennenlernen? Er heißt Genardy, Josef Genardy.« Wolfgang Beer mußte auf den Namen reagieren. Er mußte einfach, irgendwie, mit Erschrecken, Entsetzen. Er mußte aufspringen, zur Tür eilen, Herrn Genardy noch auf der Treppe stellen. Ich war ganz sicher, daß er das tun würde, aber er winkte nur ab.
    »Später vielleicht, Ihr Freund hätte mich interessiert. Aber vielleicht kenne ich den sogar. Wie heißt er denn mit Nachnamen?«
    »Schrade«, sagte ich.
    »Günther Schrade.«
    »Sagt mir nichts«, murmelte er,»zurück zu Ihnen. Geben Sie sich einen Ruck. Was haben Sie gesehen oder vielleicht auch nur gefühlt, als Sie da auf dem Friedhof standen? Kein Onkel, soweit waren wir schon gekommen. Aber Sie haben etwas gesehen. Ich habe Sie beobachtet. Auf mich wirkte es, als müßten Sie sich mit ziemlich grausamen Dingen auseinandersetzen.« Ein Punkt für dich, Wolfgang Beer, du bist ein guter Beobachter. Willst du noch einen Punkt? Dann geh nach oben, klopf an die Tür und frage:
    »Können Sie sich ausweisen, Herr Genardy?« Jetzt geh schon, bevor ich endgültig den Verstand verliere. Er ist wie Franz, ich weiß es. Ich kann es fühlen. Und ich kann mich auf mein Gefühl verlassen. Ich muß mich auf mein Gefühl verlassen können, sonst habe ich ja nicht viel. Auf meine Träume auch. Ich weiß, warum der Braune gekommen ist. Er kommt immer nur aus einem Grund, er kündigt den Tod an. Ja, genau das ist es! Warum bin ich nicht früher darauf gekommen? Verstehst du, Wolfgang Beer: ER KÜNDIGT DEN TOD AN! Ich habe den Tod im Haus. Geh hinauf und nimm ihn mit!
    »Haben Ihre Kollegen nicht genügend Beweise gegen den Studenten?« fragte ich und wunderte mich ein wenig über mich selbst. Es klang gar nicht nach Seifenschaum.
    »Es muß um die polizeilichen Ermittlungen ja dürftig bestellt sein, wenn Sie darauf angewiesen sind, daß ich Ihnen meine Eindrücke beim Anblick eines Kindersargs beschreibe. Meinen Sie, mir wäre in einer Vision der wirkliche Mörder erschienen?« Ich mußte lachen, als ich das sagte. Ich lachte auch noch, als ich weitersprach:
    »Vielleicht haben Sie sogar recht damit. Aber ich muß Sie trotzdem enttäuschen. Er stand hinter mir, und ich war zu feige, mich nach ihm umzudrehen.« Wolfgang Beer hob ganz kurz die Augenbrauen.
    »Soviel für den Anfang«, meinte er.
    »Sehen Sie, es geht doch. Hinter Ihnen stand kein Mensch, weiter.«
    »Nichts weiter«, sagte ich. Aber es machte sich selbständig. Die Schaumblasen platzten eine nach der anderen auf. Ich konnte gar nichts dagegen tun. Ein olivgrüner Umhang mit Kapuze und warmem Innenfutter. Ein Parka, was sonst! Franz hatte immer bei der Arbeit einen getragen, wenn es kälter wurde. Es ist doch noch recht kühl draußen, da läßt man sie nicht gerne im Freien. Die Stimme! Ich kannte sie, ich kannte sie so gut. Sie klang wie zugedeckt, aber das änderte doch nichts. Mir wurde übel, ganz heiß im Innern, es kam wie ein Faustschlag in den Magen. Es ging um Franz, immer nur um Franz. Erinnerungen, längst überstanden geglaubte Ängste. Sie machten harmlose, gutmütige Menschen zu Ungeheuern. Wolfgang Beer ließ keinen Blick von mir. Wie ein Insektenforscher saß er da, der gerade eine Fliege unter dem Mikroskop seziert.
    »Seit wann haben Sie das schon?« Hinter Ihnen stand kein Mensch, weiter! Wenn nicht hinter mir, dann anderswo, ganz in meiner Nähe, vielleicht nur in mir selbst. Ich habe es nicht, es hat mich. Es fällt einfach über mich her, und ich kann mich nicht wehren. Kinder können sich nie wehren. Ich bin nicht erwachsen, was Sie hier sehen, täuscht. Ich habe mir nur ein viel zu großes Kleid angezogen. Kennen Sie das? Mutters Pumps und der Lippenstift übers halbe Kinn verschmiert. Kein Lippenstift, irgendeine klebrige Schmiere. Ein brauner Pferdekopf mit einer Blesse auf der Stirn. Beim Pferd heißt es immer eine Blesse. Nur auf einem Pullover heißt es Spucke. Der Wurm hat mich bespuckt. Und dann war wirklich einer in meinem Zimmer.
    »Schon immer«, sagte ich leise,»aber es war noch nie so schlimm wie in den letzten Tagen. Letzten Mittwoch war ich bei meiner Schwester. Wir saßen

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