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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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da und unterhielten uns. Ich wurde unruhig, weil ich meiner Tochter nicht Bescheid gesagt hatte, daß ich noch einmal wegging. Und plötzlich…« Und plötzlich war es ganz einfach. Franz und die ganzen zwölf Jahre, vor allem die letzten beiden mit ihm und Nicole. Ich wurde innerlich ganz kalt dabei, weil ich jetzt selbst die Schaufel in der Hand hielt, ein Häufchen Dreck auf das Schaufelblatt nahm und Franz damit bewarf. Und noch ein Häufchen und noch eines, bis er so mit Dreck beworfen war, daß niemand mehr sein gutmütiges Gesicht darunter erkennen konnte. Wolfgang Beer hörte mir aufmerksam zu. Er machte keine Notizen oder so. Als ich dann wieder schwieg, nickte er ein paarmal kurz hintereinander.
    »Tja«, meinte er schließlich,»das wirft natürlich ein anderes Licht auf die Sache. Tut mir leid, daß ich Sie so bedrängt habe. Aber das konnte ich ja nicht ahnen. Ich dachte, wissen Sie, eine Bekannte meiner Schwester hat manchmal so komische Anwandlungen, und, na ja, ich dachte…« Er begann zu stottern, zuckte voller Verlegenheit mit den Achseln. Er trank seinen Kaffee aus, dann ging er. Ich begleitete ihn noch hinaus zu seinem Wagen. Bevor er einstieg, gab er mir die Hand.
    »Ach, bevor ich es vergesse«, sagte er,»wenn Sie Hedwig am Sonntag besuchen, können Sie alleine kommen? Ich weiß nicht, ob es gut ist, wenn Sie Ihre Tochter mitbringen.«
    Ich stand noch lange auf der Straße und schaute zur Ecke hin. Der Wagen war längst weg, und ich war immer noch mit meiner Anklage beschäftigt. Was hast du mir angetan, Franz, daß ich nicht mehr imstande bin, ganz normale und gutmütige Menschen als ganz normal und gutmütig zu sehen? Als ich dann auf das Haus zuging, sah ich Herrn Genardy oben an einem Fenster. Ich sah ihn nur einen Moment lang, dann verschwand er wieder. Aber er war in dem Moment weder unheimlich noch sonst etwas, er war einfach nur ein Mensch, der einem das Gefühl gab, nicht allein zu sein. Und genau das brauchte ich in dem Augenblick. Er kam herunter in die Diele. Und ich war ihm wirklich dankbar dafür.
    »Ich wollte eben nicht stören«, sagte er,»ich sah den Wagen vor dem Haus und dachte mir schon, daß Sie Besuch haben.« Während er sprach, musterte er mich ganz diskret von Kopf bis Fuß. Ich trug ja nicht nur das schwarze Kostüm, ich hatte auch schwarze Strümpfe und Schuhe angezogen. Und meine Miene stand wohl auch noch auf Friedhof und Leichenhalle. Herr Genardy verzog das Gesicht zu einem zurückhaltenden Lächeln, erkundigte sich:
    »Ein Trauerfall?« Zuerst nickte ich nur. Dann erklärte ich leise:
    »Die Tochter einer Arbeitskollegin, ein elfjähriges Mädchen, mißbraucht und erwürgt. Vor vierzehn Tagen. Vor einer Woche hat man sie gefunden, heute wurde sie beerdigt.« Herr Genardy war so schockiert. Er wurde sogar ein bißchen blaß, schüttelte den Kopf, als könne er es gar nicht fassen, suchte nach Worten und murmelte endlich:
    »Das gibt es doch nicht.« Er brauchte ein paar Sekunden, ehe er seine Fassung so weit wiedergewonnen hatte, daß er erklären konnte:
    »Dann will ich Sie jetzt nicht mit Lappalien belästigen.«
    »Besser mit Lappalien als mit dummen Fragen«, erwiderte ich. Er runzelte die Stirn.
    »Habe ich Sie mit dummen Fragen belästigt?«
    »Sie nicht, ein Bekannter meiner Kollegin. Na ja, vielleicht ist das bei ihm schon eine Berufskrankheit. Er ist bei der Polizei. Er hat mich heimgebracht, und…« Ich wollte nicht noch einmal darüber reden. Aber wie er da so vor mir stand, mich ansah, irgendwie gütig wie ein Vater. Es war wirklich so, als ob mein Vater sich zu mir auf die Bettkante setzte.
    »Nun mal raus mit der Sprache, Siggi, was ist denn wieder passiert? Wieder Ärger mit Mutter gehabt?« Da kam es eben. Alles. Der Braune, die Uhr, die Kinderstimme auf dem Friedhof. Daß ich zu Hedwig gesagt hatte, sie soll ihre Tochter zu mir schicken. Und daß ich jetzt panische Angst hatte, das Kind käme tatsächlich einmal. Irgendwann dazwischen schlug ich vor:
    »Gehen wir doch ins Wohnzimmer. Möchten Sie vielleicht einen Kaffee? Es ist noch welcher in der Kanne. Ich habe ihn eben frisch aufgebrüht.«
    »Gern«, sagte Herr Genardy und ließ mich weiterreden, hörte zu, aufmerksam und geduldig. Als ich endlich wieder schweigen konnte, meinte er:
    »Sie Ärmste, es muß ja entsetzlich sein, wenn man von solch gräßlichen Visionen heimgesucht wird. Vielleicht sollten Sie einmal mit einem Arzt darüber reden.« Da hatte ich plötzlich das Gefühl, daß

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