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Der stille Herr Genardy

Der stille Herr Genardy

Titel: Der stille Herr Genardy Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Hammesfahr Petra
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dazwischen. Darunter eine Notiz des Lehrers, auch in Rot. Und darunter in Blau der Name Hedwig Otten. Ein Mörder hatte ihn dorthin geschrieben. Ich sah seine Hand über das Papier huschen, nur den Bruchteil einer Sekunde lang, aber ganz deutlich. Nur war es kein Schulheft mehr, es war ein Mietvertrag.
    »Vielleicht hat er eine Geheimnummer«, meinte Günther, sehr überzeugend klang es nicht.
    »Dann kann er nicht im Telefonbuch stehen, und die Auskunft gibt seine Nummer auch nicht preis. Er ist ja bei der Post, da weiß er sicher, wie man an so was rankommt, ohne übermäßig prominent zu sein. Vielleicht hat er gar kein Telefon, du hast ja auch keins. Und das Fotostudio seines Sohnes läuft vielleicht auf irgendeinen Phantasienamen. Studio Sonnenschein, oder was weiß ich. Es kann alle möglichen Gründe haben. Was willst du überhaupt von ihm? Warum willst du ihn anrufen?« Warum wohl! Das weißt du doch. Er hat Mara! Du warst doch dabei, als er sie mitgenommen hat, du Trottel! Vielleicht irrt sich die Polizei, vielleicht haben sie den falschen Mann verhaftet. Vielleicht erinnert er mich nur deshalb ständig an Franz. Aber Franz war nicht gefährlich, und er ist gerissen. Vielleicht… Vielleicht… Da war einer in Nicoles Zimmer, er hat ihr einen Wurm aufs Gesicht gelegt. Und er hat sich doch förmlich überschlagen, Mara in die Finger zu bekommen. Er hat doch gleich am ersten Nachmittag an ihren Beinchen rumgefummelt. Und ich werde dieses Gefühl nicht los. Aber das alles dachte ich nur. Ich legte auf, ohne Günther noch einmal zu antworten. Ich hatte das Gefühl, ich wäre ganz ruhig, auch im Kopf ging es nicht mehr durcheinander. Die Gedanken kamen glasklar und waren ebenso zerbrechlich. Was muß ich jetzt als nächstes tun? Hedwig wirkte nicht mehr so abwesend wie vorhin.
    »Ist etwas nicht in Ordnung?« erkundigte sie sich zögernd.
    »Ich weiß es nicht.« Die Polizei anrufen? Natürlich, sofort, auf der Stelle, am besten Wolfgang Beer. Hören Sie mir genau zu, lieber Herr Beer, Ihre Kollegen haben den falschen Mann. Der Student ist nicht der Mörder. Möglich, daß er das Kind als Kurier für seine Pillen benutzt und es auch dafür bezahlt hat. Aber getötet hat er es nicht. Ich bin mir ganz sicher, weil ich den Mörder kenne. Ich hatte eben wieder eine Vision. Ich sah seine Hand, als Hedwig mir die Schulhefte ihrer Tochter zeigte. Es ist mein Mieter. Sie müssen sofort nach ihm suchen lassen. Er ist in einem alten grünen Auto mit Kölner Kennzeichen unterwegs. Er hat meine Nichte bei sich. Sie ist erst zwei Jahre alt. Mißbraucht und erwürgt. Ich wußte überhaupt nichts mehr. Und noch einmal den Hörer abnehmen, um das alles auch wirklich zu sagen, konnte ich auch nicht. Kurz nach sechs kam Wolfgang Beer. Bis dahin sprach ich mit Hedwig über Ängste, Träume, Befürchtungen und Bilder, die aus dem Nichts auftauchten. Über Stimmen von Kindern, die aus ihren Särgen heraus nach Hilfe riefen, über den ganzen Wahnsinn. Ich wartete die ganze Zeit darauf, daß Hedwig mich einmal auslachte. Aber sie hörte zu, nickte manchmal. Und manchmal steuerte sie noch ein wenig bei. Die Nächte, in denen sie ihre Tochter neben dem Bett stehen sah.
    »Das sind keine Träume«, erklärte Hedwig bestimmt,»ich bin wach, wenn sie kommt. Wenn ich die Schlafzimmertür zugemacht habe, dann macht sie sie eben auf. Und morgens ist die Tür immer noch offen. Dann kommt sie an mein Bett, und ich sehe sie so deutlich, wie ich dich jetzt sehe. Jede Nacht kommt sie. Als sie Donnerstag nacht kam, habe ich ihr gesagt, sie soll zu dir gehen. Du hättest mir versprochen, ihr zu helfen. Und da sagte sie, zu ihr hättest du gesagt, du könntest ihr nicht helfen, du wärst ja froh, wenn andere dir helfen.« Es war gespenstisch, mehr als das. Es war der reine Wahnsinn. Ich wußte genau, wir waren beide nicht mehr bei Verstand, wenn wir auch nur eine Sekunde lang glaubten, was wir uns gegenseitig erzählten. Und wir glaubten es nicht nur, wir waren überzeugt davon. Ich hatte unentwegt Mara vor Augen, mißbraucht und erwürgt. Die hellgrüne Hose in Fetzen gerissen, die strammen Beinchen voller Blut, das kleine, runde Babygesicht ganz blaß und eingefallen. Ich wurde das Bild nicht los. Selbst Wolfgang Beer konnte es nicht aus meinem Schädel vertreiben.
    »Meinst du, ich könnte mit Wolfgang Beer darüber reden?« fragte ich Hedwig, kurz bevor er kam. Sie zuckte nur hilflos mit den Achseln, erklärte ihrerseits:
    »Er ist sehr nett. Er

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